Bologna - Die Ermittler der Polizei und Staatsanwaltschaft von Bologna haben eine Woche nach der Ermordung des italienischen Regierungsberaters Marco Biagi nun erstmals eine detaillierte Rekonstruktion der letzten Stunden des Arbeitsrechtsexperten veröffentlicht. Demnach hatte Biagi laut einem Bericht des Onlinedienstes des öffentlich-rechtlichen Senders RAI (http://www.rai.it) vom Dienstag in Modena den Zug verpasst, mit dem er nach Hause fahren wollte. Ein Mann, der den Regierungsberater offenbar beschattete, dürfte seine in Bologna unter Biagis Haus wartenden Komplizen telefonisch gewarnt haben. In Modena bestieg Biagi nach einem Anruf bei sich zu Hause den nächsten Zug um 19.12 Uhr und kaufte nach seiner Ankunft am Bahnhof von Bologna um 19.37 Uhr beim Eurostar-Schalter einen neuen Fahrschein, wahrscheinlich für eine weitere Fahrt am nächsten Tag. Diese neuen Informationen lassen sich nach Angaben der Fahnder aus Aufzeichnungen der Überwachungskameras in den Bahnhöfen vom 19. März ermitteln. Ein unechtes Paar Als Biagi den Zug verließ, stieg auch eine junge Frau aus. Am Bahnsteig begrüßte sie einen jungen Mann, die einzige Person, die auf den Zug gewartet hatte. Sie umarmten und küssten sich, dann folgten sie Biagi, der Richtung Schalterraum ging. Die Bologneser Fahnder gehen davon aus, dass es sich bei den beiden Personen nicht um ein echtes Paar handelte. Ihr Verhalten habe gekünstelt gewirkt, erklärten sie. Nachdem Biagi den Eurostar-Schalter verlassen hatte, verließ er das Bahnhofsgebäude und ging zu seinem Fahrrad, das er in unmittelbarer Nähe abgestellt hatte. Ab diesem Zeitpunkt bis zum tödlichen Attentat in der Via Valdonica haben die Ermittler vorerst keine weiteren Informationen. Biagis Büro untersucht Zu den umfassenden Ermittlungsarbeiten gehörten bisher auch Untersuchungen der Büroräume Biagis. Neben Dokumenten-Ordnern wurden auch sämtliche Dateien und E-Mails des Computers kopiert, mit dem Biagi arbeitete. In den nächsten Tagen stehen Befragungen von engen Mitarbeitern Biagis an. Die Polizei berichtete laut der Tageszeitung "Corriere della Sera", dass zurzeit einige "sensible Handy-Nummern" überprüft würden. Man erhoffe sich weitere Rückschlüsse auf den Täterkreis. In Frage kommen dabei allerdings nur mobile Wertkartentelefone. Der Fahndungserfolg dürfte gering bleiben, falls jene Geräte und Wertkarten unter falschem Namen oder anonym gekauft, also bar bezahlt wurden. Eindeutigere Rückschlüsse verspricht man sich von dem Bekennerschreiben, das von den Roten Brigaden über E-Mail an über 500 Adressen versendet wurde. Offenbar wurde das E-Mail von einem Laptop-Computer über eine mobile Modem-Leitung des italienischen Handy-Providers "Wind" abgeschickt. Mit der gleichen Technik hatten im April 2001 in Rom auch die "Zellen proletarischer Initiativen" gearbeitet, die sich zu einem Bombenanschlag bekannten. Das eigentliche Killerkommando bestand wahrscheinlich aus zwei Personen, einem Mann und einer Frau. Der Täter mit der Schusswaffe trug zum Zeitpunkt des Attentats einen Sturzhelm. Nach Zeugenaussagen könnte auch eine dritte Person beteiligt gewesen sein. Sie soll sich in einiger Entfernung unter den Arkaden des Gebäudes aufgehalten haben und dürfte "Schmiere" gestanden sein, um die Komplizen auf eventuelle Gefahren aufmerksam zu machen. Weitere Ermittlungen im unmittelbaren Wohnbereich des Ermordeten haben zu einem Phantombild einer Person geführt, die in den Tagen vor dem Mord des Öfteren in der Nähe der Wohnung Biagis gesehen wurde. Noch nicht geklärt ist die Herkunft eines nicht abgefeuerten Projektils des Kalibers 38, das am Tag nach dem Mord von einem Mädchen zirka 40 Meter vom Tatort entfernt gefunden wurde. Das Projektil kann nicht aus der Tatwaffe stammen, da Biagi mit einer Schusswaffe des Kalibers 9x17 erschossen wurde. Wie bereits berichtet, handelt es sich nach ballistischen Laboranalysen eindeutig um dieselbe Waffe, mit der am 20. Mai 1999 der Regierungberater Massimo D'Antona erschossen worden war. (APA)