Biotechnologische Unternehmungen haben einen versierten Imageberater. So scheint es zumindest, denn Produkte oder Forschung aus ihren Reihen werden öffentlich nicht mit "ökonomischen Interessen" in Verbindung gebracht, geschweige denn mit Rassismen, Sexismen oder anderen, parallelgelagerten Herrschaftsverhältnissen und quergeschichteten Machtstrukturen. Eine gänzlich andere Version dieser Geschichte bietet uns Barbara Kirchner, kultur- und sozialwissenschaftlich bewanderte Physikochemikerin beziehungsweise: Hard-Rock-sozialisierte Poptheoretikerin und seit kurzem auch Sience Fiction-Autorin im (Kriminal-)Romanformat. Für sie ist die zwischenzeitlich ja nicht mehr ganz so "stille Revolution der Biotechnologie" (Critical Art Ensemble) ein komplexes Phänomen, welches sich seinerseits in einem Feld vervielfältigter Schnittstellen und diffuser Grenzziehungen [zwischen Biologischem und Sozialem, Naturwissenschaftlich-Technischem und "Schöngeistigem", diversen (sub-)kulturellen und gesellschaftlichen Zusammenhängen usw.] verortet: Kapitalistische "Notwendigkeit"; Ideologisch umkämpfter Schauplatz; Auf unterschiedlichste Weise mit sexuellem Unrecht und den Residuen des Rassismus verquickte Unternehmung; Leben als "Kampfbegriff" Aber auch potentieller Ort vielversprechender politischer Auseinandersetzungen, denn: "Eine politische Opposition, die artikulieren könnte, dass Leben in Zeiten seiner totalen ökonomischen Usurpation nur noch möglich ist, wenn man sich zum "Leben" als Kampfbegriff politisch verhält, könnte rasch Gehör finden." (Kirchner/Staudt/Dath) Schließlich geht es hier auch und ganz zentral sogar darum, der Monopolisierung von Definitionsmacht entgegenzusteuern, deren Ziel die Festlegung jener Grenzen ist, innerhalb welcher zukünftig über die begriffliche und soziale Frage, was "Leben" ist, diskutiert werden soll. Ihr erster Roman "Die verbesserte Frau" knüpft dabei an einen Punkt an, der nicht so weit vom gegenwärtigen Stand des Life-Sience-Booms entfernt scheint: "Das einzige, was da derzeit passiert, ist die Verbesserung der Vernutzungsbedingungen für je und je privatrechtlich definierte Lebendige." (Kirchner/Dath) Nur, dass "die Vernutzung", wenn auch (noch) illegalerweise, und der "egalisierenden Macht der Warenzirkulation" (Kirchner) zum Trotz, hier bereits auf Menschen (ausschließlich) weiblichen Geschlechts ausgedehnt wurde. Der Plot In der fiktiven Universitätsstadt Borbruck arbeitet ein privat finanziertes Forschungsinstitut an einem verbesserten Menschen, ein schmerzfreies benutzbares Objekt soll erschaffen werden. Wie bereits erwähnt, handelt es sich dabei um eine zu verbessernde Frau: "Genetik zum Beispiel ist nicht einfach eine neue Produktivkraft, sondern eine, auf die die sie umgebenden Produktionsverhältnisse zurückwirken." (Kirchner) Es ereignen sich einige rätselhafte Entführungen junger Frauen, die die Öffentlichkeit auf einen Sexualtäter schließen lassen sollen. Die Protagonistin Bettina Ritter ist sich weder ihrer sexuellen Identität als Lesbe noch ihres Lebensentwurfs (abgebrochenes Musikstudium, Jobs in der Uni-Mensa und im Nachtcafé) sicher und macht sich Gedanken über die Welt, die Menschen und sich selbst. Auch sie kann und will sich die Geschehnisse nicht erklären, als sich allerdings die Ereignisse in ihrem unmittelbaren Lebenszusammenhang zu überschlagen beginnen, haben plötzlich die Machenschaften des Forschungsinstituts mit den Entführungen und beides mit Bettina Ritter selbst zu tun. Sie wird aktiv. Ermächtigung Eine absolute Laiin auf dem Gebiet der Naturwissenschaften, die diesem Apparat ohnmächtig gegenüber stehen müsste, mischt sich mit ihren dilettantischen kriminologischen Ermittlungen trotzdem ein. Denn um zu wissen, dass dort alles gewaltig falsch läuft, bedarf es keines ExpertInnenwissen, sondern anderer (Er)Kenntnisse. Bettina Ritter tritt den persönlichen Kampf an gegen das System, das alle Entscheidungen einer kapitalistischen Verwertungslogik unterwirft und Moral und Ethik mithilfe politischer Komplizenschaft zu korrumpierbaren Variablen macht. Ritter beginnt zu handeln, weil sie nicht mehr mit sich reden lassen will. Zu sehr hat sie genug von den alltäglichen Repressionen, von Sexismus, Rassismus und Homophobie, die ihr in einer Welt widerfahren, in der sie für sich selbst gar keinen Platz findet und deren Sprache nicht mehr die ihre ist. Gewalt, körperliche, wird das probate Medium ihrer Kommunikation, ihre feministische Praxis, um Widerstand zu leisten, obwohl und weil sie ihr eigenes Scheitern an bestehenden Strukturen nicht ausschließt und die Vergeblichkeit ihres Handelns reflektiert. Aber sie muss alles zerschlagen. Um dann am Boden (bzw. auf einer Trage im Operationssaal des Forschungsinstitut) zu liegen. Kirchner entwirft eine vielversprechende Fiktion wie Wissenschaft, Denken, Leben, die Welt anders sein könnten, wenn gegenwärtige hegemoniale Herrschafts/Produktionsverhältnisse und Denkweisen aufgebrochen würden. Die LeserInnenschaft darf darüber spekulieren, an welchen Fragestellungen die Wissenschaft, in diesem Fall die Gentechnik, dann arbeiten und welche möglicherweise wirklich innovativen "Produkte" sie entwickeln würde. "Die verbesserte Frau" erzählt ein GEGEN, das auf die konkrete Forderung nach politischer Positionierung und Verantwortung des Subjekts, das die bestehende Ordnung zu hinterfragen und sich ihr entgegenzusetzen hat, besteht. Empfehlung Die "Natur" muss nicht gleich "neu erfunden", "2000 years of culture" nicht "zerstört" und die Frau nie "verbessert" werden. Später - vielleicht. Zuerst aber muss Barbara Kirchner gelesen werden! (Die Zitate Barbara Kirchners stammen größtenteils aus Artikeln, welche u.a. in SPEX, Konkret, De:Bug, testcard oder Jungle World publiziert wurden.)