Wien - Am 23. März 1972 wurde das Gratis-Schulbuch
"geboren". Der damalige Unterrichtsminister Fred Sinowatz (S)
kündigte "Lehrmittelfreiheit" für alle österreichischen Schüler an.
Im Familienlastenausgleichsgesetz wurde das System der Anweisungen
und Gutscheine wenig später festgeschrieben. Rund 300 Millionen
Schulbücher sind seither unentgeltlich an Österreichs Schüler
abgegeben worden. Seit sieben Jahren allerdings müssen die Eltern
wieder in die Tasche greifen und zehn Prozent der Kosten selber
tragen.
Mit der Schulbuchaktion sollte die Unterversorgung mit zeitgemäßen
Schulbüchern gestoppt werden. Besonders schlecht war die Situation
damals an den Hauptschulen: dort fehlte im Bundesdurchschnitt ein
Drittel der notwendigen Bücher, wobei es erhebliche regionale
Unterschiede gab. In einzelnen Bundesländern differierte das Angebot
um bis zu 70 Prozent.
Gratis seit Otto Glöckel
Gratis-Schulbücher gab es natürlich schon früher. Seit Otto
Glöckel wurden allen Wiener Pflichtschülern die nötigen Lehr- und
Arbeitsmittel kostenlos zur Verfügung gestellt. Diesem Beispiel
folgten auch andere österreichische Gemeinden. Dazu kamen
Elternvereine, die oft recht ansehnliche Schülerladen eingerichtet
hatten. Trotzdem gab es an etlichen Schulen nur mehr abgegriffene und
unaktuelle Bücher, die Schülerladen blieben Stückwerk. Nur etwa jeder
fünfte Schüler konnte sich alle Schulbücher leihen, die er auch
tatsächlich brauchte.
Nagelneue vollständige Bücherkollektionen wären nur Kindern aus
begütertem Elternhaus vorbehalten, argumentierte man in der SPÖ und
forderte schon 1970 die Einführung unentgeltlicher Schulbücher für
alle. Ein Initiativantrag wurde im Parlament eingebracht, blieb aber
unerledigt liegen. Erst zwei Jahre später gab es im Nationalrat
grünes Licht für das Gratis-Schulbuch.
Am 9. Juli 1972 wurde das neue Familienlastenausgleichsgesetz im
Parlament einstimmig beschlossen, drei Wochen später trat es in
Kraft. In einer Blitzaktion wurde mit Schulbuchverlegern und
Buchhändlern ein Vertrag geschlossen, in dem die Rechte und Pflichten
des Bundes und der Unternehmer festgelegt wurden.
Von Anfang an stand fest, dass alle Schulbücher ins Eigentum der
Schüler übergehen, dass die Aktion mittels Gutschein abgewickelt wird
und die Kosten vom Familienlastenausgleichsfonds zu tragen sind.
Daran hat sich im Prinzip bis heute nichts geändert, mittlerweile
ressortiert der Fonds beim Sozialministerium.
Rund 2,2 Milliarden Euro hat die Schulbuchaktion bisher
gekostet. Im Startjahr musste der Bund rund 567 Millionen Schilling
aufwenden. Zwanzig Jahre später wurde die Milliarden-Schilling-Grenze
überschritten. Seit 1995/96 müssen die Eltern für die Schulbücher
einen zehnprozentigen Selbstbehalt zahlen. Das Schulbuchbudget,
mittlerweilen bei 1,2 Milliarden Schilling (87,2 Mill. Euro) pro Jahr
angelangt, wurde 1997 schließlich "gedeckelt".
Diese Deckelung habe allerdings nie richtig funktioniert, betont
Othmar Spachinger, Geschäftsführer des größten österreichischen
Schulbuchverlages "öbv & hpt". Die Ausgaben für
die Schulbücher wären immer von den Schülerzahlen abhängig. In den
kommenden Jahren würden etwa durch die zu erwartende sinkende Zahl an
Volksschülern weniger Schulbücher benötigt. Auf der anderen Seite
drängten immer mehr Jugendliche in Berufsbildende Höhere Schulen, wo
höhere Kosten pro Buch anfielen. Für das laufende Jahr rechnet
Spachinger damit, dass sich die Ausgaben auf rund 94,5 Mill. Euro
zubewegen.
Derzeit können Österreichs Schüler jährlich unter rund 3.500
verschiedenen Titeln auswählen. Insgesamt werden jedes Jahr rund 9,1
Millionen Schulbücher an die Jugendlichen verteilt. (APA)