Hamburg - Das Ausmaß der Korruption bei der Vergabe kommunaler Großprojekte in Deutschland ist nach Ermittlungen des Bundeskriminalamtes (BKA) weit größer als bisher bekannt. Wie die Hamburger Illustrierte "stern" in der am Donnerstag erscheinenden Ausgabe berichtet, steht der Konzern ABB im Verdacht, sich mit einem bundesweiten Bestechungssystem in den neunziger Jahren zahlreiche Aufträge gesichert zu haben. Die Fahnder fanden Hinweise, dass unter anderem bei den Müllverbrennungsanlagen Bamberg, Böblingen, Ingolstadt und Ludwigshafen Schmiergelder geflossen seien. Ebenso bei den Heizkraftwerken in Cottbus, Neubrandenburg und Frankfurt an der Oder. Nach den Ermittlungsakten, die dem "stern" laut Vorausbericht vorliegen, sollen insbesondere der Hamburger Ingenieur Hans Reimer und seine ehemalige Firma GRP hohe Summen entgegengenommen haben. In einem BKA-Vermerk heißt es, Reimer "dürfte zwischen 1991 und 1998 Bestechungsgelder in zweistelliger Millionenhöhe erhalten haben". Reimer bestreitet die Vorwürfe. ABB verweist darauf, dass die Hauptverantwortlichen nicht mehr im Konzern tätig seien. Bankkontensystem Aus den umfangreichen BKA-Unterlagen hat der "stern" die Auftragsvergabe für die geplante Müllverbrennungsanlage in Rostock konstruiert. Die Beamten verdächtigen den Ex-Abteilungsleiter im Bundesumweltamt, Jan Schmitt-Tegge, daran mitgewirkt zu haben, dass diese und andere Projekte an ganz bestimmte Firmen vergeben wurden. BKA-Unterlagen dokumentieren die enge Kooperation zwischen Schmitt-Tegge und Reimer, die auch im Umweltbundesamt zu Irritationen führte. Zudem konnten die Ermittler ein weitverzweigtes System von mehreren Dutzend Bankkonten Schmitt-Tegge und dessen Tochter zuordnen. Darüber wurden nach der Aktenlage auch umfangreiche Bargeldzahlungen abgewickelt. Schmitt-Tegge sagte dem "stern", die Förderung innovativer Projekte sei sein Job gewesen. Niemals habe er Schmiergeld erhalten. Als "fatales Signal" hat es Transparency-International-Vorstandsmitglied Michael Wiehen bezeichnet, dass die deutsche rot-grüne Koalition das geplante Informationsfreiheitsgesetz offenbar auf Eis gelegt hat. Es sei ein ganz wesentlicher Grund für die Korruption in Deutschland, dass amtliche Informationen immer noch als Geheimnis behandelt würden, sagte Wiehen in einem Interview mit dem Wirtschaftsmagazin "Focus-Money". "Je mehr offen gelegt und nachvollziehbar gemacht wird, desto schwieriger wird es, zu bestechen", sagte Wiehen. Auch der deutsche Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Joachim Jacobs, bezeichnete es gegenüber "Focus-Money" als "bedauerlich", wenn das im rot-grünen Koalitionsvertrag vereinbarte Informationsfreiheitsgesetz auf Bundesebene in dieser Legislaturperiode nicht mehr käme. "Es wäre ein wichtiger Eckstein im Kampf gegen die Korruption", erklärte Jacobs. (APA)