Italien
Italienischer Regierungsberater bei Attentat erschossen
Berater von Arbeitsminister Maroni vor seiner Wohnung ermordet - Politischer Hintergrund nicht ausgeschlossen - Proteststreik ausgerufen
Bologna - In Bologna ist am Dienstag Abend der italienische
Wirtschaftsexperte und Regierungsberater Marco Biagi einem
Mordanschlag zum Opfer gefallen. Zwei Unbekannte schossen um 20.30
Uhr von einem Motarrad aus auf Biagi, als dieser gerade sein Haus
betreten wollte. Die Behörden vermuten einen politischen Hintergrund
hinter dem Attentat. Biagi hatte einen Teil des
wirtschaftspolitischen Programms der Regierung von Ministerpräsident
Silvio Berlusconi verfasst. Berlusconi rief in einer ersten Reaktion
alle italienischen Parteien zum Zusammenhalt gegen den Terrorismus
auf. Die italienischen Gewerkschaften kündigten für Mittwoch eine
Protestdemonstration gegen den Terroranschlag an. Nach ersten Angaben der Polizei eröffneten zwei Unbekannte das
Feuer auf den 51jährigen Biagi, Arbeitsrechtsprofessor an der
Universität Modena und Berater von Arbeitsminister Roberto Maroni,
als dieser mit seinem Fahrrad nach Hause fuhr. Bisher hat sich
niemand zu dem Attentat bekannt. Eine Verbindung zwischen dem
Anschlag und den heftigen Protesten gegen die von der Regierung
Berlusconi geplante Aufweichung des Kündigungsschutzes wird aber
nicht ausgeschlossen. Der Oberstaatsanwalt von Bologna, Luigi
Persico, sagte lakonisch: "Es ist ein Signal." Die Innenstadt wurde
nach dem Anschlag für den Verkehr gesperrt.
In einer Presseaussendung erklärte Berlusconi, der Terrorismus sei
eine "konkrete Gefahr für das demokratische Leben in Italien", es sei
daher "absolut notwendig, die Spirale des politischen Hasses zu
durchbrechen". der Regierungschef rief zu "Vernunft und Mäßigung im
sozialen und politischen Konflikt" auf: "Man darf den politischen
Gegner nicht als Feind anprangern", appellierte Berlusconi.
Mord an Biagi erschüttert politische Landschaft
Seine Worte gelten als Anspielung auf die Spannungen zwischen
Regierung und Gewerkschaften über die vom Kabinett geplante
Aufweichung des Kündigungsschutzes. Gegen diese Reform planen die
Gewerkschaften am Samstag eine Großdemonstration in Rom, zu der die
Organisatoren eine Million Teilnehmer erwarten. Die Gewerkschaften
hatten für April auch zum Generalstreik gegen die umstrittene Reform
des Kündigungsschutzes aufgerufen, an der Biagi als Berater des
Arbeitsministers mitwirkte.
Der Mord an Biagi erschüttert Italiens politische Landschaft. Der
italienische Staatschef Carlo Azeglio Ciampi ist nach eigenen Worten
"geschockt", EU-Kommissionspräsident Romano Prodi zeigte sich in
einer ersten Reaktion über den Tod des Universitätsprofessors
"entsetzt". Innenminister Claudio Scajola, der sich in Washington
aufhielt, brach seinen USA-Besuch ab und kehrt nach Rom zurück.
Biagi ist der letzte einer Reihe von Wirtschafts- und
Arbeitsrechtsexperten, die seit den 70er Jahren in die Schusslinie
von Terroristen geraten sind: 1985 wurde in Rom der
Witrtschaftsexperte Ezio Tarantelli ermordet, 1988 wurde der Berater
des damaligen Regierungschefs Ciriaco de Mita, Roberto Ruffili, in
seiner Wohnung erschossen, vor drei Jahren bekannten sich die "Roten
Brigaden" zum Mord am Arbeitsrechtsexperten Massimo d'Antona. Zu dem
Mord an D'Antona, Berater des damaligen Arbeitsministers Antonio
Bassolino, bekannten sich die damals neu gegründeten Roten Brigaden.
Gewerkschaften rufen Proteststreik aus
Nach dem Mord an dem italienischen Regierungsberater
Marco Biagi vor seiner Wohnung in Bologna haben die italienischen
Gewerkschaften zu einem zweistündigen Proteststreik am Mittwoch
aufgerufen. "Biagis Mord ist eine Barbarei. Die Terroristen
erschießen Personen, die ehrlich für den Staat und für den Dialog
zwischen Regierung und Sozialpartnern arbeiten", sagte der Chef des
stärksten Gewerkschaftsverbands des Landes, CGIL, Sergio Cofferati,
verbittert.
Der 52-jährige Biagi, Berater des italienischen Arbeitsministers
Roberto Maroni, fühlte sich bereits seit Monaten bedroht. Aus
Spargründen war ihm vor einigen Wochen die Leibwache in seiner Stadt
Bologna entzogen worden. "Er fühlte sich nicht mehr sicher", betonte
die Witwe des Beraters und Arbeitsrechtsexperten an der Universität
Bologna. Biagi zählte zu den prominentesten Arbeitsrechtsexperten in
Italien und zu den angesehensten Beratern des Arbeitsministeriums.
"Rote Brigaden" werden verdächtigt
Die Ermittlungen laufen auf Hochtouren. Die Anti-Terror-Experten
des Landes trafen in Bologna ein. Journalisten bemerkten auf der
Haustüre Biagis im Zentrum von Bologna einen fünfzackigen Stern,
Symbol der linksextremistischen Terrorgruppe "Rote Brigaden" (Brigate
Rosse), die für Hunderte von politischen Morden in den 70-er und
80-er Jahren in Italien bekannt sind. Eine neu gegründete Zelle der
"Roten Brigaden" hatte sich 1999 zum Mord am Arbeitsrechtsexperten
Massimo D'Antona bekannt. Die Ermittler unterstreichen die
verblüffende Ähnlichkeit zwischen dem Fall D'Antona und dem Anschlag
auf Biagi. Beide waren Arbeitsrechtsexperten und Regierungsberater.
Berlusconi führt Mord auf "Hass-Spirale" in Italien zurück
Der italienische Ministerpräsident Silvio
Berlusconi hat die Ermordung des Regierungsberaters Marco Biagi als
Folge einer "Spirale des politischen Hasses und einer Unheil
bringenden Sprache" bezeichnet. Diese sei "eines Bürgerkrieges
würdig", meinte Berlusconi in einer am Mittwoch verbreiteten
schriftlichen Erklärung. Die "inhumane Ideologie" der Mörder nähre
sich von einer "Kette aus Hass und Lüge".
Das Verantwortungsgefühl verlange von allen, diese Kette zu
durchbrechen. Regierungsberater Biagi (51) war am Dienstagabend in
Bologna vor seinem Haus von vermutlich zwei noch unbekannten Tätern
erschossen worden. Nach Medienberichten von Mittwoch waren ihm vor
wenigen Monaten die Leibwächter entzogen worden. Biagi habe dagegen
bei Arbeitsminister Roberto Maroni protestiert. "Mein Mann ist im
Stich gelassen worden", zitierte die Tageszeitung "La Repubblica"
Biagis Ehefrau. (APA)