STANDARD: Der Irak verhandelt mit der UNO über die Rückkehr der 1998 hinausgeworfenen Waffeninspektoren. Ist das ernst zu nehmen? Amatzia Baram: Ja. Ich gebe der Möglichkeit, dass Saddam Hussein wieder Inspektoren zulässt, 51 Prozent. Wenn er Nein sagt, wird es einen amerikanischen Angriff geben, ich würde sagen, im Mai. STANDARD: Wird man nicht wegen der Hitze den Sommer vermeiden? Baram: Mai ist nicht schlecht, da gibt es weniger Sandstürme. Das Ganze könnte sich durch die aktuellen Schwierigkeiten in Afghanistan etwas verzögern. Aber die Hitze ist kein Problem. STANDARD: Und wie steht es mit der internationalen Zustimmung? Baram: Die Türkei hat schon ihr Okay gegeben, auch wenn man nicht glücklich ist. Großbritannien ist kein Problem, Deutschland ist zögerlich, wird aber letztlich zustimmen. Frankreich und Russland sind dagegen, aber Russland wird nichts tun außer protestieren, und die Franzosen werden sich damit abfinden. Und die Araber: Wenn die Sache schnell geht - und das ist das Entscheidende -, dann werden sie sehr froh sein, wenn Saddam Hussein verschwunden ist. Die Iraker wissen das alles, aber sie haben noch nichts entschieden, denn die UNO-Inspektoren zurückzuholen ist eine große Erniedrigung für Saddam. Er ist da sehr empfindlich. STANDARD: Also US-Angriff oder Inspektoren. Wenn Letzteres, wird die Abrüstung diesmal funktionieren? Baram: Ich versuche einmal, mich in Saddam hineinzuversetzen: "Okay, UNO-Abrüster sind eine Erniedrigung, aber damit werde ich mein Regime retten. Und ich riskiere nicht viel: Wenn die Inspektoren kommen, werden sie nichts finden, wir haben drei Jahre Zeit gehabt, uns auf diesen Moment vorzubereiten. Aber ein paar Monate lang ist Ruhe, sie sind mit dem Suchen beschäftigt, ich werde sie nicht einmal daran hindern. Und alle Welt wird sagen, seht ihr, die Iraker haben gesagt, sie haben nichts, und tatsächlich haben sie nichts. Dann, nach vier, fünf Monaten, beginnen die Inspektionen wieder zu funktionieren - wenn sie dann auf die Spur von Waffen kommen, muss man sie freilich wieder stoppen. Vielleicht werden mich die USA dann dafür bombardieren, aber in der Zwischenzeit habe ich noch mehr Unterstützung vonseiten der internationalen Gemeinschaft, immerhin habe ich ja kooperiert. Dann werden die Russen und die Franzosen wieder vermitteln, UNO-Generalsekretär Kofi Annan kann wieder nach Bagdad kommen, wie 1998. Aber weil George Bush nicht Bill Clinton ist, wird er vielleicht gleich, wenn ich den Inspektoren der UNO Schwierigkeiten mache, auf mich losgehen. Dann kann ich diese immer noch als Geiseln nehmen." STANDARD: Aber das wäre doch erst recht Selbstmord. Baram: Das möchte ich sehen, ob die USA so ohne weiteres UNO-Inspektoren bombardieren. Oder die UNO-Abrüster finden innerhalb von sechs Monaten wirklich gar nichts, dann müssen sie der UNO dementsprechend berichten - und es ist vielleicht überhaupt das Ende der ganzen Geschichte. STANDARD: Wieso trotzdem "nur" 51 Prozent, dass Saddam Inspektoren zulässt? Baram: Okay, die 49 Prozent: Saddam ist sich nicht ganz sicher, dass die USA wirklich angreifen beziehungsweise er ist nicht überzeugt, dass sie hinter ihm persönlich her sind. Eine Militärattacke von ein paar Tagen wie im Dezember 1998, damit kann er durchaus leben. Sein (1995 aus dem Irak geflohener, später ermordeter, Anm.) Schwiegersohn Hussein Kamel hat erzählt, dass Saddam am 17. Jänner 1991, als der Golfkrieg losging, im ersten Moment glaubte, es sei ein Putsch. Als er kapierte, dass es der amerikanische Angriff war, war er erleichtert. Er hatte ihn erstens nicht erwartet und sah ihn zweitens nicht als gefährlich an! STANDARD: Und Sie sind überzeugt, dass die USA diesmal ernst machen? Oder wird es doch wieder so wie 1998 vier Tage Bomben geben, die letztlich Saddams Regime stärken? Und wie wird man Opfer unter den Zivilisten vermeiden? Baram: Da kommen wir zum Unterschied zwischen Bush und Clinton. Für Clinton war Saddam ein Ärgernis, und so hat er die Sache auch behandelt. Für Bush ist Saddam so etwas wie ein genetisches Problem. Er muss ihn loswerden. Seine Herangehensweise ist wie bei Afghanistan. Nur dass die Amerikaner im Irak keine Nordallianz haben, niemanden, der für sie Bagdad erobert. Sie müssen es selbst machen. Die lokalen Kräfte werden erst in einer sehr späten Phase ins Spiel kommen. Natürlich kann man heute von der Luft aus viel mehr machen als 1991. Aber sie brauchen trotzdem entweder Bodentruppen - oder einen Staatsstreich, der aber gut mit den Amerikanern koordiniert werden muss. Stellen Sie sich vor, Panzer rücken auf Bagdad vor, die Teil eines Aufstands sind - und die Amerikaner greifen sie an. Auch eine Revolte der Schiiten im Süden könnte es geben, die von US-Agenten unterstützt wird, Exilirakern, die man infiltriert. Aber ohne US-Truppen wird es wohl nicht gehen, vielleicht werden sie von der Türkei her über Kurdistan kommen, vielleicht von Kuwait. Ich glaube nicht, dass das die Amerikaner schon entschieden haben. Zu den Zivilisten: Man weiß heute wirklich, wie man militärische Ziele bombardiert, aber natürlich gibt es da ein Dilemma für die USA: Laut wirklich guten Quellen haben die Iraker bereits viele ihrer Kommandozentralen in Schulen und Spitäler verlegt, das ist ein echtes Problem. STANDARD: Die USA, heißt es, haben den früheren irakischen Generalstabschef Nizar al-Khazraji zum Favoriten für eine irakische Regierung nach Saddam ausgewählt. Was halten Sie von ihm und vom Oppositionsverband Irakischer Nationalkongress? Baram: Khazraji ist kein einfacher Kandidat, er trägt Mitverantwortung für die Kampagne gegen die Kurden. Es ist natürlich schwer zu sagen, ob er vom Giftgaseinsatz im Voraus wusste - oder ob er Nein gesagt hätte, wenn er es gewusst hätte. Und Khazraji hat auch nicht viele Anhänger in der Armee. Er war kein sehr charismatischer Armeestabschef, deswegen hat ihn Saddam ja genommen. Er war sehr durchschnittlich, nicht brillant, ein Beamter. Aber Khazraji kann einer von mehreren sein. Die USA brauchen möglichst viele Armeeoffiziere, die als Gruppe ein neues Regime unterstützten. Auch heute wird das Offizierskorps von den Menschen im Irak noch immer als parteilose nationale Kraft angesehen, die Armee genießt noch immer Ansehen, trotz allem, woran sie beteiligt war. Das gilt natürlich nur für die Armee, nicht für die Republikanischen Garden und andere Milizen. Von dieser Armee brauchen die USA 50, 100 Offiziere, dabei haben sie das Problem, dass sie zu wenig Sunniten haben. Khazraji ist Sunnit. Der Irakische Nationalkongress (INC) kann die Kooperation der Offiziere organisieren. Aber im neuen Irak wird es auch andere Gruppen geben: mehr als eine Baath-Partei, nachdem die alte aufgelöst sein wird, die Kommunisten, Liberale, die einflussreichen schiitischen Islamisten, die nicht zum INC gehören. STANDARD: Wie sieht es im Irak mit dem sunnitischen Fundamentalismus aus? Baram: Es gibt eine kleine Gruppe Muslimbrüder, die nicht verfolgt werden, und eine kleine wahhabitische Gruppe, die verfolgt wird, sie könnten sich zusammenschließen. Aber sie sind im Vergleich zu den schiitischen Islamisten und den Säkularisten machtlos. Aber es gibt unbestreitbar eine Bewegung in Richtung Religion in der irakischen sunnitischen Gesellschaft. STANDARD: Nach dem Ende von Saddam: Wird die schiitische Mehrheit auf die sunnitische Minderheit, die die Stütze des Regimes war, losgehen? Baram: Es gibt eine gewisse Möglichkeit, dass das passiert, aber begrenzt. Darum muss alles schnell gehen, wie in Afghanistan muss sofort eine Führung eingesetzt werden. Das ist nicht leicht, aber nicht unmöglich. Viel wahrscheinlicher als "Schiiten gegen Sunniten" wird "Arm gegen Reich" sein. Und Racheakte wird es zweifellos geben, gegen Angehörige der Familie, der Partei. Die Rechnungen vieler Jahre werden beglichen werden. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18.3.2002)