Foto: kunstforumwien.at
Blick in den Merzbau, um 1930
WEB-TIPP:
kunstforumwien.at
(Bis 16. Juni)
"Ewig währt am längsten": Mit dem Merz(bau), Collagen und Assemblagen zieht das Werk des deutschen Gesamtkunstwerkers Kurt Schwitters (1887-1948) in das Wiener Kunstforum der Bank Austria ein.
Von Doris Krumpl
Wien - Obwohl im Populärkunstbereich sträflich vernachlässigt, tauchte Kurt Schwitters' Name kürzlich in Zusammenhang mit der Biennale Venedig 2001 auf. Gregor Schneiders prämierter klaustrophobischer Umbau des deutschen Pavillons (der mit den längsten Warteschlangen davor) sei die zeitgenössische Version des Merzbaus, hieß es. Wie Schwitters im Hannover des Jahres 1923 hatte Schneider sein Wohnhaus "zu- und umgemerzt", dass sich die Balken zu Assemblagen bogen und von dem nun Auktionen sogar vermauerte Kellerfenster wohlfeil für den heimischen Salon anbieten. Hat schon ein Merzchen Wahres dabei; doch Schwitters Werk enthält viel mehr Facetten, nämlich den Überhang zum Gesamtkunstwerk - oder sollen wir Crossover-Artistik sagen? Er hatte wenigstens etwas Gescheites gelernt, seine "Werbezentrale" versorgte u. a. Bahlsen oder Pelikan mit Typographien, Plakaten und mit "Ideen". Außerdem kam der Schwitterssche rote Faden vom Wort Commerz auf einer seiner Collagen und weist die Kunst in ihre Schranken. Auch die unter Künstlern selten vorkommende Selbstironie lässt sich dabei ablesen. "Selbst das wird einmal ernst genommen und hoch bezahlt", schreibt Schwitters, von Hülsenbeck etwas gehässig "Caspar David Friedrich der dadaistischen Revolution" genannt, unter Abbildungen seiner und seiner Freunde Arbeiten. Idealbedingungen also für das Kunstschaufenster der Bank Austria, dem in diesem Falle mutigen Kunstforum. Aus aller Welt hat man 120 Arbeiten und das Herz der Schau, eine relativ kleine, begehbare Rekonstruktion des im Krieg zerstörten Merzbaus, in Wien vereinigt. In der nicht chronologisch geordneten Schau lässt man sämtlichen Stilen Raum, vor allem natürlich den "typischen" dadaistischen, den konstruktivistischen, futuristischen und sogar den erstaunlich naturalistischen Porträts und Landschaftsbildern, die Schwitters in den 30er-Jahren im norwegischen Exil malte - neben Touristenbildern. Den Vormerz umfassen Arbeiten für die Galerie "Der Sturm", später entstand die eigene Zeitschrift Merz . Vergilbter Glanz Seine witzigen Bildschöpfungen in Ehren, etwas Glanz verlieren die oft zu einem bräunlichen Konglomerat vergilbten Arbeiten in ihrer historischen Kühlkammer, dem Museum. Man soll nicht asen mit Phrasen , so ein Werktitel: Die vielleicht interessanteste und später in vielen Varianten kopierte Komponente von Schwitters, sein auch in den Bildern immer wieder auftauchendes Spiel mit der Sprache als konkrete Poesie und die absurden Wortschöpfungen ähnlich der bahnbrechenden "Ursonate" fehlen schmerzlich, sind aber in einer Bilderausstellung grundsätzlich kaum zu bewältigen. Alles niest: Wie sollte man ein "Nies-Scherzo" zeigen? Anna Blume und Auguste Bolte, zwei große Roman-/Gedichtfiguren des Allroundkünstlers, sind ganze Romane wert ("Oh Du, Geliebte meiner 27 Sinne, ich liebe Dir!"). Dem Zufall und dem Nebensächlichen schenkte Schwitters, dessen dadaistische Tendenzen nicht Richtung Antikunst, sondern in Richtung Erweiterung des Kunstbegriffes gehen, Aufmerksamkeit. So werden bloße Ölabstriche zu eigenen Bildern, bei Druckerei-Fehldrucken macht er den richtigen Ausschnitt zum eigenen Kunstwerk - hier ist er ungemein modern. Im Katalog wird darob gleich die Verwandschaft zu Andy Warhol ausgerufen. "Ausblick Österreich" wirft schlussendlich ein sehr selektives Merzbild auf die heimische Kunstproduktion, darunter Raoul Hausmann, Gerhard Rühm, Oswald Oberhuber oder Attersee. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14. 3. 2002)