Wien
Das Verschwinden der Kinder
Die Einwohnerzahl in der EU schrumpft - In Industriestaaten gilt: Je mehr Frauen arbeiten, desto mehr Babys gibt es.
"Babyalarm", "Die Alten-Republik", "Vom Babyboom zum
Babycrash" - solche Titel finden sich schon seit geraumer
Zeit in den Medien westeuropäischer Länder. Die Zahl der
Kinder schrumpft seit den
Neunzigerjahren aber auch in
Ostmitteleuropa - und liegt
dort mittlerweile bereits unter
dem EU-Schnitt.Genau deshalb ist es unwahrscheinlich, dass künftig
große Migrantenströme aus
dem früheren "Ostblock" zu
erwarten sind. Im Gegenteil:
In zehn bis 15 Jahren werden
auch viele dieser Länder Arbeitskräfte außerhalb ihrer eigenen Staatsgrenzen suchen.
Das war Tenor einer Veranstaltung des Instituts für den
Donauraum und Mitteleuropa
(IDM) am Dienstag in Wien.
"Geburtenschwache" Erweiterungskandidaten
Innerhalb der jetzigen EU-
Länder wird sich die Bevölkerungszahl ab 2023 verringern.
Zählt man die ("geburtenschwachen") Erweiterungskandidaten dazu, geht es sogar
schon ab 2015 abwärts, wie
Gerald Roßkogler, Herausgeber der neuen Studie "Geburtenrückgang in Mittel- und
Osteuropa" (Böhlau) erklärte.
Koautor Rainer Münz, Bevölkerungswissenschafter an
der Humboldt-Universität
Berlin, rechnete vor:
Deutschland und Österreich
liegen mit einer Rate von rund
1,3 Kindern pro Frau über dem
Fertilitätsniveau von Estland,
Lettland, der Tschechischen
Republik und Slowenien. In
Polen beispielsweise ging die
Zahl der jährlichen Geburten
zwischen 1989 und 1999 von
564.000 auf 382.000 zurück.
In Ungarn sinke die Geburtenrate sogar schon seit Beginn
der Achtzigerjahre, berichtete
die ungarische Wissenschafterin Klara Foti. Wenig überraschend werden im laufenden
ungarischen Wahlkampf daher von der Opposition höhere
Familienleistungen gefordert.
Beispiel Rumänien
Auch Rumänien, das unter
Diktator Ceausescu (und dessen striktem Abtreibungsverbot) die höchsten Geburtenzahlen in Europa verzeichnete, befindet sich mittlerweile
unter jenem Schnitt (ungefähr
2,1 Babys pro Frau), der für eine gleichbleibende Bevölkerungszahl notwendig ist.
Ein Plus haben in Europa
nur mehr die Türkei, Aserbeidschan, Albanien, Mazedonien und der Kosovo. Die
stärksten Geburtenrückgänge
verzeichnen südeuropäische
Länder wie Italien oder Spanien. Dort, wo es besonders
schlechte Vereinbarkeit für
Familie und Beruf für Frauen
gebe, wie Münz anmerkt. "Es
geht nicht um die Höhe der
Transferleistungen. Es geht
um ein eigenes Erwerbseinkommen für Frauen unter
marktwirtschaftlichen Bedingungen. Und um qualifizierte
Kinderbetreuung, die nicht
gratis sein muss." Beides führten Skandinavien oder auch
Frankreich (siehe Bericht unten) erfolgreich vor.
Weniger Inländer am Arbeitsmarkt
Fest steht - so der Forscher
-, dass ab 2008 in Österreich
weniger Inländer neu auf den
Arbeitsmarkt gelangen. "Die
Zuwanderer, die wir brauchen, werden wir aber nicht
mehr aus Ostmitteleuropa bekommen." Er verstehe nicht,
warum Österreich eine restriktive Zuwanderungspolitik
betreibe. Letztlich bleibe ohnehin nur ein Bündel unbeliebter Maßnahmen: länger
und/oder mehr arbeiten, niedrigere Pensionen, höhere
Beiträge und/oder mehr Zuwanderung. (DER STANDARD Print-Ausgabe, 13.3.2002)