London - Einer der größten deutschen Klassiker-Autoren, Heinrich von Kleist (1777-1811), ist bis vor kurzem in England fast ein Unbekannter gewesen. Jetzt aber wird er gefeiert wie eine Neuentdeckung und von der Kritik auch so gewürdigt: mit Begeisterung, kritischem Mustern und jenen Missverständnissen, die man einem Debütanten in der Theaterwelt oft entgegenbringt.

"Prinz Friedrich von Homburg" Kleists letztes, vielleicht bedeutendstes Werk, "Prinz Friedrich von Homburg", entstanden im Jahr seines Selbstmords 1811, wurde in England erstmals 1976 aufgeführt. Das war in Manchester, die Hauptrolle spielte Tom Courtenay. 1982 folgte noch eine Inszenierung in London, dann verschwand das Stück wieder von den Spielplänen. Die Royal Shakespeare Company, in Koproduktion mit dem Lyric Hammersmith Theatre in London, grub das Kleistsche Drama um den traumverlorenen Prinzen, der gegen alle Befehle einen militärischen Sieg erringt und dafür mit dem Tod bestraft werden soll, jetzt wieder aus. Der Direktor des Lyric Hammersmith Theatre, Neil Bartlett, fertigte in Zusammenarbeit mit David Bryer eine neue Übersetzung an und brachte das Schauspiel Anfang Februar in Stratford-upon-Avon auf die Bühne, bevor er es jetzt in London zeigte. Die Übersetzung ebnet alle Rätsel des Dramas ein, auch die Inszenierung zeichnet ein holzschnittartiges Porträt: Der Prinz wird zum romantischen Märchenhelden, und der Hauptdarsteller Dan Fredenburgh ist, wie der "Observer" schrieb, "von heroisch gutem Aussehen". Vor allem ist der englische Homburg unschuldig wie ein Kind oder ein schlafwandelnder Träumer. Bei Kleist hingegen liegen die Verhältnisse komplizierter, die Frage seiner moralischen Integrität bleibt offen. Jubel Dennoch: die Kritiker aller großen englischen Zeitungen jubelten - und staunten. Regisseur und Übersetzer Neil Bartlett selbst durfte den deutschen Romantiker im "Guardian" dem einheimischen Publikum vorstellen: "Kleist Almighty", lautete die Überschrift - Kleist Allmächtiger. Der große Autor sei dem englischen Publikum bisher entgangen, weil Deutschland und das romantische frühe 19. Jahrhundert abseits des Mainstream der Theaterpraxis dieses Landes liege, so Bartlett. Michael Billington, Kritiker des Blattes, zeigte sich begeistert: man verlasse die Aufführung verstört und fasziniert, als sei man aus dem Traum eines Fremden erwacht. Charles Spencer vom "Daily Telegraph" rutschte vor lauter Spannung auf die Kante seines Theatersessels und war überrascht von Kleists Talent und seinem dramatischen Wagemut. Der Aufführung bescheinigte er, einen nicht ganz einfachen Plot mit großer Klarheit dargestellt zu haben. Doch als einer der wenigen Kritiker bemerkte er auch die starken Vereinfachungen. Der "Observer" stellte fest, dass man aus dem Stück ein "heroisches Werk" gemacht habe, und aus dem Prinzen von Homburg einen "verstörten Cousin von Shakespeares Prinzen von Dänemark" - einen deutschen Hamlet also. Höher kann ein Vergleich kaum zielen. (APA)