Wien – Jahrhundertelang befand sich ein Gemälde von Peter Paul Rubens in Österreich – zugeschrieben Jan van den Hoecke. Nun aber wurde die Meisterschaft bekannt. Doch zu spät: Das Denkmalamt bewilligte die Ausfuhr, der Bethlehemitische Kindermord wird am 11. Juli in London bei Sotheby's versteigert. Der Schätzpreis beträgt 6,5 bis 9,7 Millionen Euro; man rechnet mit einem zumindest doppelt so hohen Verkaufspreis.

1702 erwarb Fürst Johann Andreas von Liechtenstein zwei Frühwerke von Rubens, Samson und Delilah sowie einen Betlehemitischen Kindermord. Die Gemälde, zwischen 1609 und 1611 entstanden, hingen fortan im Wiener Gartenpalais. Weil das Inventarbuch 1715 verloren ging, kam es aber zu falschen Zuschreibungen: Seit 1780 gilt van den Hoecke als Autor der Werke.

Als "van den Hoecke" Sotheby's angeboten

Ende des 19. Jahrhunderts trennten sich die Liechtensteins von Samson und Delilah. In den 20er-Jahren wurde das Bild als Rubens identifiziert, seit 1980 befindet es sich in der National Gallery. Der Kindermord hingegen, 1920 versteigert, blieb ein van den Hoecke. Und wurde Sotheby's auch als solcher angeboten.

Doch schon das Foto, das der Einbringer im Amsterdamer Büro vorlegte, ließ an der Zuschreibung Zweifel aufkommen: Das Auktionshaus entschloss sich, das Gemälde in London dendrologisch untersuchen zu lassen. Das Denkmalamt hatte nichts einzuwenden: Brigitte Faszbinder-Brückler inspizierte zwar das Bild, ihr sei aber nicht, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete, das Liechtensteinsche Siegel aus 1733 auf der Vorderseite aufgefallen. Eine Expertenmeinung wurde nicht eingeholt.

Österreich: gut bestückt mit Rubens-Gemälden

Faszbinder weilt derzeit auf Urlaub; laut ihrer Stellvertreterin Ulrike Emberger hätte es keinen Hinweis auf die Provenienz gegeben. Zudem sei der Zustand mangelhaft gegeben. Und Österreich sei gut bestückt mit Rubens-Gemälden.

Sotheby's spricht nun von einer Sensation, und Österreich-Chefin Andrea Jungmann ist beglückt. Denn der Wert des Gemäldes verzehnfachte sich durch die Entdeckung. Mindestens.
(Thomas Trenkler/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12.03. 2002)