Wien - "Ich habe mir als junger Plastischer Chirurg 'weiße
Flecken' gesucht. Das war zunächst die Handchirurgie. Und dann war
ich nicht zufrieden mit den Ergebnissen bei der Behandlung von
verletzten Nerven." - So einfach fasst der Wiener Pionier der
Plastischen Chirurgie, Univ.-Prof. Dr. Hanno Millesi, sein Lebenswerk zusammen. - Der Grund: Diese Woche findet im
Umfeld seines 75. Geburtstages (24. März) in Wien ein Fachsymposium
statt, das sowohl Rück- als auch Ausblick auf jene Techniken bieten
soll, die Millesi mit seinem Werk federführend mitgestaltet hat: die
Chirurgie an peripheren Nerven.
Werdegang
Am Anfang standen für den am 24. März 1927 in Villach in Kärnten
geborenen Millesi das Medizinstudium in Innsbruck und die Ausbildung
an der 1. Chirurgischen Universitätsklinik in Wien unter Univ.-Prof.
Dr. Leopold Schönbauer. Dieser setzte bereits - als noch viele
Chirurgen einfach meinten, "Alles" zu können - auf eigene
Spezialisten für plastisch-chirurgische Eingriffe. Univ.-Doz. Dr.
Elisabeth Winkler wurde schließlich zu Millesis Lehrerin in dieser
Disziplin ab 1955.
Der spätere Leiter der Abteilung für Plastische und Rekonstruktive
Chirurgie an der Wiener Universitätsklinik (1982 bis 1995), seit 1996
Ärztlicher Direktor der Wiener Privatklinik: "Ich bin von Schönbauer
gefragt worden, ob ich mich dafür interessieren würde. Ich hatte das
Gefühl, dass ich dafür geeignet war. Ich glaube, es ist eigentlich
das räumliche Vorstellungsvermögen, das einen für die Plastische
Chirurgie begabt macht."
Spezialgebiet Handchirurgie
Die Handchirurgie und die Versorgung von Verbrennungsopfern wurden
bald zu den Spezialgebieten Millesis. Im alten Wiener AKH gelang es
dem Chirurgen, mit der Schaffung einer eigenen Abteilung auch die
Versorgung von Verbrennungs-Verletzten an eine Spezialstation zu
holen.
Doch den für seinen in Fachkreisen mittlerweile etablierten
Weltruf verdankt der Chirurg der von ihm entwickelten Technik der
Behebung großer Nervendefekte durch die Transplantation von
Nervenfasern. Der Jubilar: "Man hatte schon längere Zeit versucht,
solche Defekte zu überbrücken. Man nähte die Enden von abgetrennten
Nerven auch unter Spannung wieder zusammen. Doch auch die besten
Nahttechniken unter dem Mikroskop verbesserten die Ergebnisse nicht
wesentlich."
Millesi begann ab 1962 auch viele Zentimeter lange Nervendefekte
durch die Transplantation entsprechend langer Nervenstücke zu
überbrücken. Doch dem stand ein Dogma entgegen: Die Plastischen
Chirurgen glaubten, dass längere Transplantate schlechter wären. Die
Ergebnisse der Operationsserien des gebürtigen Kärntners widerlegten
diese Ansicht. Der Plastische Chirurg: "Wenn ein Nerv unter Spannung
wieder zusammengenäht wird, bewirkt der Zug eine Vernarbung
(Fibrosierung, Anm.). Das schädigt die Funktion. Doch das Einsetzen
eines ausreichend langen Stücks bringt eindeutig bessere Resultate."
Technik etabliert
Mittlerweile hat Millesi mit der "spannungslosen
Nerventransplantation" bereits weit mehr als 1.000 Patienten selbst
versorgt. Der Chirurg: "International hat sich die Technik
durchgesetzt."
So wurde der in Wien tätige Spezialist, der auch mit seinen 75
Jahren neben der Ärztlichen Leitung des Privatspitals ein volles
Operationsprogramm bestreitet, zu einem international gesuchten
Fachmann. Pionierleistungen erbrachte er speziell bei der Behebung
von Plexus-Abrissen - also wenn beispielsweise alle Nervenfasern
abreißen, die einen Arm oder ein Bein versorgen. Da geht es schlicht
und einfach um die Behebung vollständiger Lähmungen.
Auch auf diesem Gebiet hat Millesi neue Strategien entwickelt. So
verpflanzte er Hautnerven durch ein in den Beckenknochen
geschnittenes kleines "Fenster", wenn der Plexus lumbo sacralis
abgerissen ist, der die Beine versorgt.
"Krise"
Freilich, ganz ohne Bedenken betrachtet Millesi die Entwicklung
seines Fachgebiets nicht. "Die Plastische Chirurgie ist in einer
echten Krise. Sie war immer Vorreiter bei der Entwicklung von
Techniken, die andere Gebiete der Chirurgie dann übernahmen. Derzeit
fehlt eine solche Innovation. Und dann gibt es einen Shift hin zur
rein kosmetischen Chirurgie." Damit könne man natürlich gutes Geld
verdienen, doch auch der Konkurrenzkampf sei dabei größer.
Geburtstraumen können die Ursache sein. Dann müssen oft große Schäden
überbrückt werden. Der Wiener Plastische Chirurg: "Das gelingt mit
Hilfe der Transplantation von Patienten-eigenen Nerven an sich gut."
Doch international wird auch an Alternativen gearbeitet. Seit einigen
Jahren arbeiten immer mehr Forscher an Techniken, die zu einem
Nachwachsen von Nervenfasern führen sollen.
Röhren
Millesi: "So zum Beispiel hat der US-Experte David Chiu ein
Verfahren entwickelt, bei dem man Venen praktisch als 'Röhren'
zwischen die Enden abgerissener Nerven verpflanzt. In diesen Venen
sollen dann die Nervenenden zu einander wachsen." Andere
Wissenschafter, zum Beispiel Tim Hems (Glasgow) und Göran Lundborg
(Malmö) hingegen setzen auf resorbierbare Röhren aus Glas-Material,
die ähnlich wie die verpflanzten Venen funktionieren sollen.
Auch zunächst eingefrorene und schließlich wieder aufgetaute
Skelettmuskeln sollen in Zukunft eventuell für beschädigte Nerven zu
einem "Milieu" werden, in dem sie wieder nachwachsen können. Der
Wiener Plastische Chirurg: "Es gibt ein Problem. Nerven können zwar
wieder zu wachsen beginnen, doch ohne sie dabei unterstützende Zellen
erfolgt das nur über eine gewisse Strecke."
"Unterfutter"
Deshalb setzen auch Wiener Wissenschafter auf die Züchtung von so
genannten "Schwann-Zellen" als eine Art "Unterfutter". Millesi:
"Diese Zellen ernähren die Nerven." Sie produzieren auch
Wachstumsfaktoren, welche die Nervenfortsätze erneut sprießen lassen
sollen.
Neu ist auch eine Technik des brasilianischen Spezialisten Fausto
Viterbo: Durch "Anschluss" eines gekappten Nervs an einen intakten
soll es zu einer neuerlichen Versorgung eines vorher nicht versorgten
Muskelareals kommen.
(APA)