Geschlechterpolitik
Liberales Profil der "Zeit" ist tot
"Die Zeit"-Herausgeberin und Doyenne des politischen Journalismus Marion Gräfin Dönhoff ist im Alter von 92 Jahren gestorben
Hamburg - Die langjährige Mit-Herausgeberin
der
Wochenzeitung "Die Zeit", Marion Gräfin Dönhoff, ist tot. Das
bestätigte die Zeitung am Montag in Hamburg. Dönhoff verstarb im
Alter von 92 Jahren. Die 1909 in Ostpreußen geborene
Dönhoff galt wegen ihrer politischen Artikel in der "Zeit" und
in mehr als 20 Büchern als eine der meistgelesenen KommentatorInnen
in Deutschland. Sie sei eine der herausragenden intellektuellen
und moralischen Instanzen, hieß es in der Laudatio anlässlich
der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Birmingham
1999 an sie. Selbstbewusst,
meinungsstark, aufrichtig, uneitel und sich selbst immer treu,
vertrat sie ihre Positionen - auch unbequeme.
Im Widerstand
1932 begann Marion Gräfin Dönhoff ihr Studium der Volkswirtschaft in Frankfurt am
Main. 1933 zeigte sie nach der Machtergreifung der Nazis offen ihre
Ablehnung des NS-Regimes und wechselte an die Universität Basel. Längere Reisen durch Europa, Afrika und die USA begann sie 1935, um drei Jahre später doch nach Ostpreußen zurückzukehren. Dort übernahm sie die Verwaltung
der Familiengüter.
Von
1940-45 beteiligte sie sich am Widerstand gegen das Regime Adolf
Hitlers.
Nach dem gescheiterten Attentat von Graf Stauffenberg
auf Hitler am 20. Juli 1944 wurde Dönhoff verhört, kam aber wieder frei.
Ende Jänner 1945 floh sie vor den heranrückenden sowjetischen
Streitkräften zu Pferde. Der Ritt dauerte sieben Wochen. Sie berichtete
darüber später in ihrem Buch "Namen, die keiner mehr nennt" - ihr erster Bestseller. Schloss
Friedrichstein wurde vollständig zerstört.
"Ein anständiges Deutschland aufbauen, eine gute Zeitung machen",
lautete das Credo der Dönhoff, als sie 1946 in die Hamburger
Redaktion der "Zeit" eintrat. 1968 übernahm sie die Chefredaktion,
seit 1973 fungierte sie als Herausgeberin.
Engagement
Sie engagierte sich in den 60er-Jahren stark in der
Ostpolitik und wurde dafür 1971 mit dem Friedenspreis des
Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. 1999 wurde sie mit dem Bruno-Kreisky-Preis
ausgezeichnet.
Die promovierte Volkswirtin editierte zuletzt den Essay-Band "Zivilisiert den Kapitalismus". Darin zeigte die intellektuelle Dame die moralischen Grenzen der wirtschaftlichen Freiheit auf. Alice Schwarzer schrieb 1998 die Biografie der schillernden Persönlichkeit, die unter dem Titel "Ein widerständiges Leben" erschien.
In Vorträgen und Artikeln kommentierte Gräfin Dönhoff politische
Fragen der Gegenwart - bezog Stellung zur Apartheid in Südafrika, zum
deutsch-amerikanischen Verhältnis, selbst Kritik an Israels
Palästina-Politik waren für sie kein Tabu. Zufrieden hatte sie zu ihrem 90.
Geburtstag auf ihr Leben zurückgeblickt: "Ich würde alles wieder
genau so machen."
(APA/reuters/pte/red)