Wirtschaft
US-Aufschwung übertrifft selbst optimistische Vorhersagen
Greenspan verkündete "Aufschwung in vollem Gang"
Washington - Der sonst so mürrische US-Notenbankchef Alan
Greenspan erlaubte sich ein breites Grinsen, das selbst die steilsten
Sorgenfalten in seinem Gesicht glättete: Einen Tag nach seinem 76.
Geburtstag erklärte er vergangene Woche im Kongress die mildeste
Rezession der Nachkriegszeit praktisch für beendet. Mit ihren
Erfolgsdaten überrascht die US-Wirtschaft selbst eingefleischte
Optimisten. Inzwischen wird sogar ein Wachstum von vier Prozent
Jahresrate im 1. Quartal dieses Jahres nicht mehr ausgeschlossen.Kräftigen Käufe
Börsenhändler feierten die guten Daten gleich mit kräftigen
Käufen. Der Dow Jones-Börsenindex legte vergangene Woche in New York
um knapp 3 Prozent zu, der von Technologieaktien dominierte NASDAQ
verzeichnete sogar 7 Prozent Zuwachs.
Wendepunkt im Konjunkturzyklus
"Jüngste Daten legen immer stärker nahe, dass der Aufschwung in
vollem Gang ist", verkündete der entspannte Greenspan vor dem Senat.
Wie rasant sich das monatelang so düstere Bild geändert hatte,
demonstrierte Greenspan auch gleich. Erst eine Woche zuvor hatte er
vor dem Repräsentantenhaus noch vorsichtig von Anzeichen eines
Wendepunkts im Konjunkturzyklus gesprochen. Normalerweise liefert
Greenspan im Senat kurz darauf exakt den gleichen Bericht ab. Dieses
Mal drehte er deutlich an den Optimismus-Schrauben.
Nach oben korrigiertes Wachstum
Dazu veranlasste ihn unter anderem das scharf nach oben korrigierte
Wachstum des BIP im 4. Quartal. Um 1,4 Prozent, nicht um zunächst
geschätzte 0,2 Prozent, wuchs die US-Wirtschaft in den drei Monaten
nach den Terroranschlägen. Das verblüffte die Prognose-Spezialisten,
die noch im Dezember wegen der verheerenden Anschlagsfolgen ein
Schrumpfen erwartet hatten. Immerhin war die Tourismusindustrie nach
dem 11. September eingebrochen. Aus Angst vor weiteren Anschlägen
blieben die sonst ausgabefreudigen Verbraucher tagelang zu Hause.
Nicht lange, belegen jetzt die jüngsten Statistiken: die
Einzelhandelsumsätze waren erstaunlich stabil und legten im Februar
um satte 6,2 Prozent zu. Die Verbraucher tragen zwei Drittel der US-
Wirtschaft. Die Arbeitslosenquote fiel im Februar überraschend um 0,1
Punkte auf 5,5 Prozent. Analysten sehen Anzeichen für ein Aufleben
des Industriesektors, der die längste Durststrecke hinter sich hat,
und auch die Unternehmensinvestitionen in neue Ausrüstung ziehen an.
"Wenn sich die vorläufigen Hinweise, dass die Schrumpfungsphase
dieses Konjunkturzyklus zu Ende ist, bestätigen, ist der Abschwung
wesentlich milder ausgefallen als wir erwartet haben", sagte
Greenspan. Er warnte gleichzeitig, dass nach einer milden Rezession
auch keine riesigen Wachstumssprünge zu erwarten sind.
Damit könnten die Wirtschaftsweisen, die für die offizielle
Feststellung der Wendepunkte der Konjunktur zuständig sind,
eigentlich ihre nächste Sitzung anberaumen. Die Mitglieder des
Nationalen Büros für Wirtschaftsforschung (NBER) hatten im November
offiziell die Rezession ausgerufen und ihren Beginn auf März datiert.
Wie sich herausstellte, schrumpfte das BIP nur im 3. Quartal, mit
einer hochgerechneten Jahresrate von minus 1,3 Prozent.
Erleichterung
Grund zur Erleichterung hat Greenspan angesichts des Aufschwungs
auch ganz persönlich. Nachdem seine elf Leitzinssenkungen im
vergangenen Jahr so gar keine Wirkung zeigten, geriet sein Ruf als
Finanzgenie schon ins Wanken. Greenspan sei der unfehlbare Instinkt
für die korrekte Steuerung der Wirtschaft abhanden gekommen, wurde
kritisiert. Das alles ist jetzt Schnee von gestern. Greenspan plane
vielleicht seinen baldigen Rücktritt, jetzt, da die Wirtschaft wieder
auf Kurs sei, wird gerüchteweise an der Wall Street gemunkelt. Der
alte Fuchs äußert sich nicht dazu. Sein Mandat läuft noch zwei Jahre.(APA)