Überall im Land mussten die regierenden Sozialdemokraten, Linksliberalen und Rechtsliberalen schwere Verluste hinnehmen. Gewinner des Wahlgangs sind lokale Parteien und vor allem die Leefbaar-Wahllisten, die nun mit insgesamt 333 Stadt- und Gemeinderäten in niederländischen Kommunen vertreten sind. Vor vier Jahren waren es nur 82 Mandate gewesen.Strahlender Wahlsieger ist der durch seine zahlreichen ausländerfeindlichen Äußerungen umstrittene homosexuelle TV-Moderator Pim Fortuyn, der als Spitzenkandidat von "Leefbaar Rotterdam" (Lebenswertes Rotterdam) für die größte Überraschung sorgte. In Rotterdam hatten bisher die Sozialdemokraten die größte Ratsfraktion gestellt. Nach Umfragen hatte Leefbaar Rotterdam mit sechs bis zehn Mandaten rechnen können. Doch das Protestpotenzial scheint weit größer gewesen zu sein, als die Demoskopen annahmen. Nun ist Leefbaar Rotterdam auf einen Schlag größte Fraktion im Stadtrat der Hafenstadt geworden und hält 17 von 44 Mandaten. Fortuyn verkündete im Rotterdamer Rathaus: "Die Koalition in Den Haag hat ausregiert." Tatsächlich herrscht bei den Regierungsparteien Heulen und Zähneknirschen. In der Gesamtzahl der Gemeinderatsmandate gerechnet, mussten sie alle, von der linksliberalen D66 über die sozialdemokratische PvdA bis zu den Rechtsliberalen VVD herbe Verluste hinnehmen. Stabiles Amsterdam

In Eindhoven holte eine Leefbaar-Liste 19 Prozent der Stimmen. Eine relativ unbekannte Liste, Leefbaar-Den-Haag, holte am Sitz der Regierung auf Anhieb vier Sitze, PvdA und VVD verloren je einen. Nur in Amsterdam blieben die politischen Verhältnisse einigermaßen stabil. Von der dortigen Leefbaar-Liste hatte sich die nationale Partei "Leefbaar Nederland" mehrfach distanziert. Die "Leefbaar-Bewegung" ist entstanden aus dem Protest gegen die Zentralisierung der niederländischen Politik und war bisher vor allem in Utrecht und Hilversum stark. Am 7. März wurde die landesweite Partei "Leefbaar Nederland" gegründet, die fast sofort durch starke Umfrageergebnisse von sich reden machte. Fortuyn zog gegen die politische Korrektheit und das niederländische, auf Konsens ausgerichtete Modell zu Felde. Als er sich öffentlich für einen Einreisestopp von Muslimen und die Streichung des Antidiskriminierungsparagraphen in der Verfassung aussprach, feuerte ihn die Parteiführung von "Leefbaar Nederland", Fortuyn gründete seine eigene Liste für die Parlamentswahlen am 15. Mai. Er blieb aber Spitzenkandidat von "Leefbaar Rotterdam". Nicht nur die Kommunalwahlergebnisse, auch eine gleichzeitig abgehaltene Meinungsumfrage bestätigen, dass die Niederländer von der Regierung Wim Koks offenbar genug haben. Allein Fortuyns Liste könnte so bei den Parlamentswahlen 18 von 150 Mandaten im Unterhaus holen, "Leefbaar Nederland" käme nach der Umfrage auf sechs Sitze. Die Mandatsverschiebungen wären groß genug, um die Regierungskoalition um ihre Mehrheit zu bringen. Ein Viertel der bisherigen Wähler der Koalition sei dabei abzuwandern, kommentierte eine Tageszeitung. (DER STANDARD, Printausgabe, 8.3.2002)