Es gibt immer wieder Menschen, die wollen um jeden Preis provozieren, und wenn es um die heiligsten Kühe der Nation geht. Seit die vormals heiligste Kuh Sozialpartnerschaft unter kaum nennenswertem Widerstand auf den Schindanger neoliberalistischer Ideale getrieben wurde, verspürten einige Bürger, die sich nicht damit abfinden wollen, wie sich die Zeiten ändern, eine wendebedingte Leere, was sie nach einem anderen verbalen Attachement suchen ließ, an das man nun das Wörtchen "sozial" koppeln könnte. Dabei sind sie auf den Ladenhüter "Staat" gestoßen, haben zeitgeistkonform dazu sofort "mehr privat" assoziiert und begannen in Privatinitiative ein Volksbegehren für einen Sozialstaat Österreich zu organisieren. Man kennt das - Sozialschmarotzer.

Handelte es sich bei den Organisatoren um die Gründerväter und -mütter einer neuen Partei, die von sich nur behaupten, wahrhaft sozial zu sein, würde kein Hahn nach ihnen krähen, weil sie sich kaum von den Altpolitikern dieses Landes unterschieden. Sie wollen aber keine Partei gründen, sie wollen gleich aufs Ganze gehen: Keine Partei soll es sich künftig aussuchen können, ob sie sozial sein will oder nicht, es soll allen Parteien von der Verfassung aufgezwungen werden. Gleich nach dem Artikel 1, Absatz 1, "Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus", und noch vor der föderalistischen Frohbotschaft des Artikels 2, "Österreich ist ein Bundesstaat", soll nach dem Willen der Aufwiegler dem Artikel 1 ein langer Absatz 2 angehängt werden, der mit den Sätzen beginnt: "Österreich ist ein Sozialstaat. Gesetzgebung und Vollziehung berücksichtigen die soziale Sicherheit und Chancengleichheit der in Österreich lebenden Menschen als eigenständige Ziele."

Liberal ist diese Zwangsverpflichtung zu politischem Sozialverhalten nicht. Das dürfte auch der Grund sein, warum die Parteien angesichts dieser Initiative einen eher verdatterten Eindruck machen. Das Soziale kann es ja nicht sein, was sie stört. Da es in diesem Land seit Menschengedenken keinen Politiker mehr gegeben hat, der sich öffentlich einer erprobten asozialen Gesinnung gerühmt und damit Stimmen gewonnen hätte, da kein Wahlprogramm der Zweiten Republik etwas anderes verströmte, als jeweils richtig verstandene Sozialgesinnung, sei es in eher demokratischer, eher christlicher oder nationaler Form (ordentliche Beschäftigungspolitik!), müsste die Begeisterung über das Volksbegehren parteienüberschäumend sein - wäre da eben nicht der von der Verfassung ausgehende Zwang.

Dass in dem Volksbegehren auch ein Quäntchen Kritik an sozialpolitischen Entwicklungen der letzten Jahre mitschwingen mag, ist es sicher nicht, was die Parteien stört. Für Kritik sind sie mindestens so offen wie für soziale Anliegen breiter Bevölkerungskreise, ganz besonders jene, die gegenwärtig die Bundesregierung stellen.

Aber es muss sie verständlicherweise kränken, wenn gerade jetzt, wo klargestellt ist, dass die Regierung nicht eine Dependance der Sozialpartner ist, sondern selber dafür sorgt, dass im Hauptverband der Sozialversicherungsträger effizient und sparsam gearbeitet wird, aufmüpfige Kräfte der demokratischen Republik die Behauptung, deren Recht gehe vom Volk aus, wörtlich nehmen und sich via Volksbegehren auch gleich selber darum kümmern.

Vertreten manche die Ansicht, die Reklamation des Sozialstaates in die Verfassung habe eher den Charakter einer Deklamation, befürchten andere, selbst Verfassungspassagen von deklamatorischer Eleganz könnten einmal Wirkung zeitigen. Den Initiatoren des Volksbegehrens ist zuzutrauen, dass sie diese möglicherweise unerwünschten Wirkungen sogar herbeiwünschen. Aber das werden die Freunde des Sozialstaates im Parlament zu verhindern wissen.(Der STANDARD, Printausgabe 6.3.2002)