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Orchideenfächer inskribieren und auf den kleinen Unterschied zwischen Bildung und Ökonomie beharren

Foto: APA/dpa/Frank May
Ein Gentleman hat keine Ahnung davon, was unter der Motorhaube seines Jaguars vor sich geht, und wenn er eine Ahnung davon hätte, dann wäre er kein Gentleman mehr. Um gesellschaftlich wirklich ganz oben zu sein, braucht man in vielen Ländern nicht nur das nötige Kleingeld, sondern auch das nötige Unwissen, um sich von den Niederungen der auf ihre Kenntnisse und Erwerbsarbeit angewiesenen Stände zu unterscheiden. Notorische Neigung Nutzbringendes Wissen, so berichtet der amerikanische Literaturwissenschafter Paul Fussell in seinem Buch "Class", sei in den obersten gesellschaftlichen Etagen der USA verpönt, schließlich wolle man ja nicht mit einem Ingenieur oder Computerprogrammierer verwechselt werden. Von diesem speziellen Mindset her, so Fussell weiter, erkläre sich auch, dass die amerikanische Upperclass in ihren Studiengebräuchen notorisch zu dem neigt, was hierzulande abschätzig als "Orchideenfach" bezeichnet wird: zur Archäologie oder Altphilologie etwa oder zum Studium ungebräuchlicher Sprachen. Wer seine Wahl aus bloßer Aversion gegen den Nutzwert eines Studiums trifft, lege freilich eine bemerkenswert snobistische Haltung an den Tag, meint Lonnie Johnson von der österreichischen Fulbright Commission. Johnson weist darauf hin, dass es im Amerikanischen keine sprachliche Entsprechung zu "Orchideenfach" gibt - wohl aber gibt es die Sache selbst. Und, meint Johnson weiter, wer in den USA einem solchen Studium nachgeht, steht deswegen noch lange nicht im Verdacht, dass er sich frivol dem Marktgesetz von Angebot und Nachfrage entziehe. "Wenn jemand in den USA Buddhismuskunde studiert, dann tut er das im sicheren Wissen um den Arbeitsplatz, an dem er nachher unterkommt." Anders als bei uns ("In Österreich sind die meisten Personalchefs Juristen und würden am liebsten Juristen einstellen") hätten US-Personalchefs auch keine Berührungsängste mit Studien-Exoten. "Ein Freund von mir ist Investmentbanker in New York", meint Johnson, "der nimmt fünfzig Prozent seiner neuen Leute aus den Absolventen von Harvard oder Princeton - und bei der andern Hälfte schaut er drauf, dass er eben die klügsten Köpfe bekommt. Was die studiert haben, ist ihm gleichgültig, weil man sich die Grundzüge des Geschäftes ohnehin schnell aneignen kann. Sein bester Mann ist übrigens Archäologe". Aber auch in Österreich dürfen Zweifel daran angemeldet werden, dass die angeblich nutzlosen geistes- und kulturwissenschaftlichen Studien, in denen nicht einmal ein Achtel des wirtschaftlichen Personals der Universitäten tätig ist, wirklich "nutzlos" sind. Die Dinge fließen Die konjunkturellen Schwankungen, denen das Wissen unterworfen ist, zeigen, dass die Dinge wie immer in Bewegung sind. Mag es einstmals ein Zeichen fortgeschrittener Exzentrizität gewesen sein, sich dem Studium der Sinologie zu widmen, so könnte es jetzt ebenso gut als Nachweis vorausschauender Intelligenz auf einen der größten Zukunftsmärkte des Jahrhunderts sein. Mögen das Studium der Islamwissenschaft oder der Arabistik einst entlegen gewirkt haben - seit dem 11. September ist der Bedarf an Leuten mit einschlägigen Kenntnissen enorm gestiegen. Wer freilich, wie Finanzminister Karl-Heinz Grasser ("Orientalistik brauchen wir nicht") in erster Linie Wert auf sein berufliches Fortkommen legt und nicht auf solche Konjunkturschwankungen warten will, mag mit einem Betriebswirtschaftsstudium ja wirklich besser bedient sein. Außer Acht gelassen wird dabei freilich, dass es außer hochfliegenden Karriereplänen noch so etwas gibt wie die Liebe zum Wissen, die sich nicht auf bloße ökonomische Absichten reduzieren lässt und darum weiß, dass auch die entlegenen Felder des Wissens beackert werden müssen. Aus dem Angebot der Uni Wien, Sommersemester 2002: "Vorderasiatische Archäologie: Kleinkunst Mesopotamiens des dritten Jahrtausends vor Christus" oder "Analyse zu ausgewählten koreanischen Schriftstellern: Koh Un und Choi In-Hun". Das sind auch die schönen Farbtupfer, die das Vorlesungsverzeichnis zum poetischen Werk machen. Ohne sie wäre es so öde wie ein Regenwald ohne Orchideen. (DER STANDARD, Printausgabe, 5.3.2002)