Auch Hans Dichand muss es als eine medienhistorische Sensation empfunden haben, sonst hätte er am Freitag sein Blatt wohl kaum mit der Meldung aufgemacht: "Krone" bekam beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in zwei Fällen jetzt endlich Recht. Seine forensische Europabegeisterung war derart groß, dass er die beiden Sprüche in Causen von eher marginaler Bedeutung in großen Lettern gleich mit einem Sieg für die Pressefreiheit verwechselte, was in der allzeit getreuen Lesergemeinde den Eindruck erwecken sollte, die "Kronen Zeitung" wäre eine verlässliche Vorkämpferin derselben.

Tatsächlich hat sich das Blatt damit nur die Pressefreiheit genommen, den Lesern ein wenig medienpolitischen Sand in die Augen zu streuen, ist doch allein die monopolartige Stellung, die das Blatt dank der Beihilfe der heimischen Medienpolitik erlangt hat, eine wesentlich größere Bedrohung der Pressefreiheit in Österreich, als ein Europäischer Gerichtshof je abwenden könnte, und die Selbststilisierung des Herausgebers als Gralsritter der Pressefreiheit kaum mehr als ein plumper Versuch, von dieser Tatsache abzulenken.

In dem einen Fall hat Cato, im Jahre 1993 und gewissermaßen in eigener Sache, dem damaligen ÖVP-Abgeordneten Michael Graff vorgeworfen, als Politiker und Anwalt seines medialen Erzfeindes und "täglich Alles"-Erfinders Kurt Falk eine unvereinbare Doppelrolle zu spielen. Von einem österreichischen Gericht verurteilt, wurde diese Meinungsäußerung Catos nun vom Europäischen Gerichtshof für zulässig erklärt.

Der Gewinn für die Pressefreiheit besteht darin, dass der Rechtsanwalt und gegenwärtig amtierende Justizminister der FPÖ, Dieter Böhmdorfer, hiermit gewarnt ist, seine Kanzlei mit Causen zu beschäftigen, in denen der Gegner seines Mandanten Hans C. Dichand heißt - und zwar, ohne dass Pressefreiheit, wie die "Krone" sie versteht, im Speziellen noch einmal bemüht werden müsste.

Im zweiten Fall, triumphiert das Blatt, meinte ein Kärntner SP-Abgeordneter gar, die "Krone" dürfe sein Foto im Zusammenhang mit kritischen Berichten nicht abdrucken. Wenn es um das Abdrucken von Fotos geht, kennt die "Krone" - Wahrheit hin, Wahrheit her - keinen Spaß. Für die Erlaubnis, das Foto des Abgeordne- ten abdrucken zu dürfen, kämpfte sie bis 2002 und bis zum Europäischen Gerichtshof, aber was die als kritische Berichte bezeichnete Behauptung zur kritisierten Person betrifft, die die Veröffentlichung des Fotos erst gerechtfertigt hätte, musste die "Kronen Zeitung" bereits am 3. Dezember 1996 in ihrer Kärntner Ausgabe gestehen: Diese Behauptung widerrufen wir als unwahr.

Wie hieß es am Freitag so schön in der "Krone"? Wie heißt es so schön: Die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit! Und so wird die unabhängige "Kronen Zeitung" niemals aufhören, für ihre Unabhängigkeit und die Pressefreiheit zu kämpfen. Diese gefährliche Drohung ward dem Publikum indes gemildert durch die Mitteilung, dass der Europäische Gerichtshof gleichzeitig mit der "Krone" auch der Beschwerde einer anderen Zeitung Recht gab, nämlich der Wochenzeitung "TATblatt", die damit - im Unterschied zur "Krone" und nicht in Verfolgung privater Geschäftsinteressen - tatsächlich einen Sieg für die Pressefreiheit von gesellschaftspolitischer Bedeutung erstritten hat.

Das "TATblatt" hat im Dezember 1992 im Zuge der Auseinandersetzung um das Ausländervolksbegehren der FPÖ "rassistische Hetze" vorgeworfen. Zu dieser Fest- stellung meinte der Europäische Gerichtshof, "sie stellt keine grundlose persönliche Beleidigung dar, da sie in einer speziellen politischen Situation, in einer Diskussion über ein Thema von öffentlichem Interesse - nämlich zur Ausländerpolitik - gemacht wurde. Die Aussage war Teil einer politischen Diskussion, die von Mr. Haider und anderen Mitgliedern der FPÖ selbst provoziert wurde, indem sie das Ausländervolksbegehren initiiert haben." Es handle sich um einen "zulässigen Kommentar".

Wenn Cato also vielleicht demnächst das unabweisliche Bedürfnis verspürt, der Freiheitlichen Partei beziehungsweise einigen ihrer Funktionäre im Zusammenhang mit deren Ausländerpolitik rassistische Hetze vorzuwerfen, kann er sich diesen Herzenswunsch angstfrei erfüllen. Und er sollte nicht vergessen, dass es das "TATblatt" war, das ihm diesen Sieg für die Pressefreiheit erkämpft hat.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 5. März 2002)