Klaus Theweleit |
Wien - Die diesjährige Ausgabe des Literaturfestivals
"Literatur im März" erkundet die Veränderungen, die die Situation der
Frauen in den vergangenen zwei Jahrzehnten erlebt hat. Unter dem
Motto "Frauen - Was nun?" (7. bis 10. 3.) wird unter anderem danach
gefragt, ob Entwicklungen wie die Globalisierung und die Neuen Medien
die Frauenbewegung der 70er Jahre obsolet gemacht haben. Der am 8. 3.
im Zuge des Festivals lesende deutsche Schriftsteller und
Kulturkritiker Klaus Theweleit antwortet darauf mit einer Gegenfrage: "Wo gibt es denn noch Frauenbewegungen?"
Männerherrschaft durch Frauenopfer
"Man kann im Moment nicht davon sprechen, dass es eine
organisierte Frauenbewegung gibt", konstatierte der mit seinem
1977/78 erschienenen Doppelband "Männerphantasien" bekannt gewordene
Soziologe, dessen Werk, unter anderem "Buch der Könige" I (1988) und
II (1994) und "Objektwahl. (All You Need is Love...)" (1990), sich
bis heute mit der durch Frauenopfer erlangten Männerherrschaft
beschäftigt.
Frauenbewegung wurde reaktionärer
"Die Frauenbewegung wurde wie alle politischen Bewegungen nach
einer Weile reaktionärer und 'rechter', weil eine Menge Leute zu
jeder Bewegung kommen, die diese zur Machtausübung benützen und die
mit den ursprünglichen Zielen nichts zu tun haben", so Theweleit, wie
"modellhaft gut" zu sehen derzeit bei den Grünen in Deutschland sei.
Wichtig ist die Ebene des Einzelnen
Jedoch sind für den 1942 in Ostpreußen geborenen und im Moment an der
Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe lehrenden
Wissenschafter die Bewegungen "gar nicht das Entscheidende: Auf der
Ebene der Einzelnen, in den täglichen Beziehungen, geht 'die
Bewegung' viel stärker weiter. Da passiert nach wie vor sehr viel".
Frauenrechte: keine dauerhafte Einrichtung
Für Theweleit ist - trotz Fortschritten - "die Verankerung der
Frauenrechte in den tatsächlich angewandten Gesetzen nach wie vor
sehr gering". Die "männlichen Institutionen" versuchten, "sei es in
Kriegssituationen oder in so genannten ökonomischen
Krisensituationen, die ja sehr oft hergestellte sind", den Frauen die
unter Druck zugestandenen Rechte wieder wegzunehmen. "Dauerhaft gibt
es die in der Geschichte bisher kaum irgendwo".
Emanzipation muss gemeinsam passieren
Diese Gegenbewegungen gälten jedoch nicht nur den Frauen, "sondern
darüber hinaus den Bürgerrechten, wie das derzeit in den USA und
Deutschland unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung geschieht".
Das sei "ein ständiger Prozess, gegen den man versuchen muss, sich zu
wehren - Frauen ebenso wie Männer". Denn es gebe "keinen wirklichen
Fortschritt" in Gesellschaften, in denen sich "Frauen und Männer
allein oder auch gegeneinander emanzipieren. Wenn die Entwicklung zum
gewaltloseren Leben dauerhaft sein soll, muss es ein gemeinsamer
Prozess sein".
"Entmischung von Mischgesellschaften"
Über "Mischgesellschaften" und deren "Entmischung" wird Klaus
Theweleit bei "Literatur im März" unter anderem aus seinem
"Pocahontas"-Band lesen, der sich mit dem Mythos der indianischen
Retterin eines englischen Besatzers bei der Kolonialisierung Amerikas
beschäftigt. "Entmischung", so Theweleit, habe die Politik der
"Ethnisierung und Wiedereinführung von halbgestorbenen Religionen"
bestimmt, die "zum Zwecke der Bildung ethnisch definierter
Nationalstaaten - besser müsste man sagen: völkischer Staaten"
beispielsweise am Balkan betrieben wurde.
Klaus Theweleit bei "Literatur im März" 8. 3.,
20 Uhr
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Entmischte Frauen
Jedoch seien "dort nicht nur verschiedene Kulturen, Ethnien und
Religionen entmischt, sondern auch insbesondere die Frauen aus
bestimmten Mischungszusammenhängen mit Gewalt herausgebracht" worden.
Entrechtung, Verdrängung aus dem Alltag, das neue Vorschreiben von
Heiratsregeln - all dies sind für Theweleit "Teile der
fundamentalistischen Gegenbewegungen" zu den Mischgesellschaften.
Ethnische Staatsdefinition ist fundamentalistisch
Und, so der Autor, diese "Gegenbewegungen sind fast immer
männliche; Männerpolitik, die meist durch Gewalt versucht, die immer
nur für Perioden erkämpften Frauenrechte wieder zu beschneiden".
Theweleit sieht diesen Widerstreit zwischen säkularisierten
Mischstaaten und den fundamentalistischen Gegenbewegungen ("jeder
Staat, der sich ethnisch definiert, ist fundamentalistisch und
potenziell faschistisch") als einen "Prozess, der schon seit über
1000 Jahren in der abendländischen Kultur im Gange ist".
Männerdominierter politischer Terror
Dieser immer wieder in Wellen auftretende "Versuch, das ganze
Leben nach einer Hand voll Regeln zu gestalten, die jeweils von
Männern geschrieben werden, geht bis in die heutige Zeit, wie man im
ehemaligen Jugoslawien oder in Afghanistan sieht". Ob diese Regeln
"islamistisch, christlich, jüdisch, hinduistisch oder mit sonst einer
Religion fundamentiert werden, oder aber mit den zehn Geboten der
Marktwirtschaft, ist relativ egal. Es ist immer politischer Terror,
männerdominiert, der sich der Religionen oder anderer Großideologien
zu Zwecken eigener Herrschaft bedient". (APA)