STANDARD-Korrespondent Ben Segenreich aus Tel Aviv

Eine palästinensische Terroroffensive nach den israelischen Operationen in zwei Flüchtlingslagern verschärfte über das Wochenende abermals den Zermürbungskrieg. An einer Straßensperre bei der Siedlung Ofra im nördlichen Westjordanland wurden Sonntagfrüh zehn Israelis, davon drei Zivilisten, von einem palästinensischen Heckenschützen getötet und einige verletzt, zur gleichen Zeit wurde bei einem Überfall am Rand des Gazastreifens ein israelischer Soldat erschossen.

Zwölf Stunden zuvor waren bei einem Selbstmordanschlag in Jerusalem neun Passanten, darunter ein Baby und fünf Kinder, getötet und mehr als 50 verletzt worden, außerhalb von Jerusalem wurde ein israelischer Polizist erschossen aufgefunden. Die Armee beschoss als Reaktion aus Flugzeugen, Hubschraubern und Panzern wieder Gebäude der Palästinensischen Behörde in Bethlehem, Ramallah und Salfit, ein Palästinenser wurde dabei getötet.

Der Anschlag in Jerusalem traf ein verwinkeltes religiöses Viertel, der Attentäter soll als orthodoxer Jude getarnt gewesen sein und schlug genau am Ende des Sabbat, des jüdischen Ruhetags, zu, wenn viele Menschen aus den Betstuben auf die Straßen strömen. Er soll sich absichtlich in die Nähe von Frauen mit Kinderwagen gestellt haben, unter den Toten sind ein Elternpaar und seine beiden kleinen Töchter, eine Mutter und ihr sieben Monate alter Sohn sowie ein Geschwisterpaar von zwölf und zwei Jahren.

Palästinenser jubeln

Die Meldung von dem Anschlag löste unter Palästinensern in Ramallah und im Flüchtlingslager Deheishe Jubelszenen aus - aus Deheishe bei Bethlehem war der 18-jährige Selbstmordterrorist gekommen. Die Palästinensische Behörde verurteilte zwar in allgemeiner Weise Anschläge auf Zivilisten, zugleich übernahmen aber die "Al-Aksa-Märtyrer-Brigaden", ein bewaffneter Arm von Yassir Arafats Fatah-Bewegung, für die Attacke in Jerusalem ebenso die Verantwortung wie für jene bei Ofra. Dort war es offenbar ein einzelner Palästinenser, der mit einem Karabiner von einer Anhöhe aus rund 30 Minuten lang gezielt Soldaten und angehaltene Autos unter Feuer nahm.

Kontakte abgebrochen

Die palästinensische Führung hat die erst vor kurzem wieder aufgenommenen Sicherheitskontakte mit Israel abgebrochen und scheint keinerlei Absicht zu haben, die militanten Elemente zu zügeln: "Es gibt einen Status der Kriegsführung zwischen den beiden Völkern", sagte Arafats Berater Marwan Kanfani, "und in so einer Situation kann niemand die Menschen kontrollieren, wenn sie sich selbst verteidigen wollen."

In Israel wurde darüber debattiert, ob die Vorstöße in die Flüchtlingslager Balata und Jenin die Eskalation des Terrors provoziert hätten oder ob umgekehrt noch mehr derartige Operationen gegen "Terrornester" nötig wären, um die Ruhe wiederherzustellen. Am Mittwoch waren erstmals seit Beginn des Palästinenseraufstands israelische Bodentruppen in die beiden Lager eingedrungen, die als Zentren der Terrorgruppen gelten, und hatten vier Tage lang von Haus zu Haus nach Waffen gesucht, 30 Palästinenser und zwei Soldaten wurden getötet.

Minister Ephraim Sneh von der Arbeiterpartei empfahl im Vorfeld eines Treffens des Sicherheitskabinetts am Sonntagabend mehr Operationen: "Diese Sache kann nur politisch beendet werden - aber das bedeutet nicht, dass man militärisch die Arme verschränken und sich abschlachten lassen muss." Von rechts werden die Stimmen lauter, die fordern, "die Herrschaft Arafats zu beenden".

(DER STANDARD, Print, 04.03.2002)