Bild nicht mehr verfügbar.

Archiv
Manchmal ist es so, dass man das alles irgendwie gut finden wollte. Nach Jahrzehnten von medialer Literaturpräsentation, die vom bedächtigen Onkel mit der Pfeife über den stillen Mahner bis zum total auf Konfrontationskurs mit dem System gehenden Hirnaufschlitzer die Rollen eigentlich recht gediegen für etwaige Einsätze im sensiblen Interview bei Barbara Rett in Treffpunkt Kultur oder für mehr oder weniger überregionale Literaturpreise verteilt hatte (Stille Tage der oberösterreichischen Lyrik), kommt nun also im Rahmen der Mitte der 90er-Jahre gestarteten Erfolgsserie "Deutsche Popliteratur" mit den Christian Krachts (Faserland), Sibylle Bergs (Amerika), Elke Naters' (Königinnen) und eben auch Benjamin von Stuckrad-Barres frischer Wind ins Sesselfurzer-Genre. Jung, smart, zynisch - und immer volle Kanne gegen Papa und Mutti schießen. Was genau das Neue und Aufregende an den Hervorbringungen des neuen Marktsegments sein soll, kann zwar niemand genau sagen. Weil sich das bei den schnellen Texten, die man sich oft auch als aufgepumpte Glossen und eingedampfte Reportagen vorzustellen hat, niemand so genau nach dem Lesen zwischen Tür und Angel sagen kann. Immerhin gilt aber die Tatsache, dass eine junge Generation von Schriftstellern offensichtlich mit Fernsehen und Popmusik aufgewachsen und dies in ihren Werken obendrein auch noch mehr oder weniger selbstverständlich zu verarbeiten bereit oder in der Lage ist (Achtung: Zeitgeistgenossen-Bonus!), immerhin gilt das als derart geiler Faktor, dass noch bevor überhaupt wesentliche Werke dieser neuen Riege von Schreibern auf den Markt gelangt wären, vom natürlich auch heftig Kulturpessimismus furzenden Sesselkleber-Genre gleich einmal vorneweg das Ende dieser Popliteratur ausgerufen wird. Früher war alles besser! An Shakespeare kommt ja doch niemand vorbei! Ihren Höhepunkt erlebte die deutsche Sprache mit Thomas Mann! Popmusik ist Scheiße! Zoe Jenny ist auch jung. Aber sie schreibt so sensibel! Benjamin von Stuckrad-Barre, der 27-jährige Literaturstar mit eigener MTV-Show (Lesezirkel), mit zu Clubbings umfunktionierten Lesungen und einem von Gott gegebenen Talent, nicht kamerascheu zu sein, beschreibt in seiner neuen mit Artikeln aus FAZ, Stern, Die Woche oder der Süddeutschen Zeitung zusammengetragenen Textsammlung Deutsches Theater unter anderem auch jenes Genre, in dem er vor gut vier Jahren mit seinem ersten Roman Soloalbum angetreten ist, dagegen zu sein. Der Literaturbetrieb im Stile des Literarischen Quartetts wird mit dem Stilmittel der Reportage ebenso vorgeführt und/oder ins Lächerliche gezogen, wie der ehemalige Gagschreiber für die Harald-Schmidt-Show einen geistig etwas schlichten Sänger der Hardrock-Band Scorpions mit etwas schlichten polemischen Mitteln geistig bloßstellt. Gemeinsam mit Fernsehmoderator Günther Jauch wird eine Preisverleihung besucht, bei einem Formel-eins-Rennen gewinnt Stuckrad-Barre die etwas banale Erkenntnis, dass RTL-Journalistinnen keine Intellektuellen sind. Und der charmante Schauspieler Manfred Krug wird zu Hause in Unterhosen bewundert, ist aber selbst dann unkaputtbar. Richtig schlimm wird es aber, wenn der Mann persönlich wird. Dies hat Stuckrad-Barre, dieser Großmeister der Häppchenlektüre und überhaupt einer Literatur für Menschen, die sich nicht fürs Lesen interessieren, schon mehrfach bewiesen. Als nämlich vor zwei Jahren Stuckrad-Barre in einem Artikel die unsägliche deutsche Schlagerrock-Band Pur verhöhnte und ihm darauf der Sänger körperliche Gewalt androhte, sagt Stuckrad-Barre kurzfristig die Teilnahme bei einer Fernsehrunde ab, in der sich die beiden Kontrahenten getroffen hätten. Das ist nun wohl weder besonders mutig noch besonders erwachsen. Aber für das einstehen, was man macht, kann man dann ja immer noch, wenn man erwachsen wird. Mit 27 Jahren allerdings ist es für eine glückliche Jugend ja noch nicht zu spät. Ganz abgesehen von der Tatsache, dass Stuckrad-Barre in Deutsches Theater im zugebenermaßen durchaus vergnüglich zu konsumierenden Tonfall in der Reportage Boulevardjournalismus unter dem Deckmantel des Moralischen den deutschen Bild-Zeitungs-Adabei Franz Josef Wagner wegen journalistischer Praktiken anschüttet, die er selbst auch mehr als nur ungefähr kennt und ausübt: Wirklich läppisch wird es aber immer dann, wenn Bubi undercover geht und als Günter Walraff für Bravo-Leser davon berichtet, dass menschenunwürdige McJobs als Hilfsarbeiter in einer Fischküche oder als wandelndes Ganzkörper-Handy bei einer Sportveranstaltung bitte schön das Letzte sind. Ist es die Möglichkeit?! Die angepeilte halbe Million verkaufte Bücher und CDs dürfte Stuckrad-Barre nach ebenso mit Haltbarkeitsdatum versehenen Veröffentlichungen wie Blackbox, Remix, Livealbum oder Transskript und einer einmonatigen Lesetournee, die ihn nächste Woche auch das erste Mal nach Österreich führt, locker überspringen. Immerhin gibt es ja viele Bubis und Mädis, die Lesen plötzlich wieder geil und fett finden. Und drei Artikel Stuckrad-Barre sind ja dann auch nicht schlimmer als das Olympia-Menü bei McDonald's. Wenn nur nicht immer dieser verlogene moralische Zeigefinger dabei wäre. Stuckrad-Barre kann seine Herkunft bei allem Zynismus dann halt doch nicht ganz verbergen. Sein Papa ist nämlich Pastor. Amen. (Von Christian Schachinger - DER STANDARD; Album, 2.3.2002)