Die Rechtswirkung der Benes-Dekrete müsse "abgedreht" werden, fordert Kanzler Wolfgang Schüssel. Gleichzeitig empfiehlt er Tschechien eine freiwillige Entschädigung an die Sudetendeutschen analog zu Österreichs Zwangsarbeiterregelung. Gegenüber Haider will Schüssel beim Weg der Geduld bleiben. Standard: Herr Bundeskanzler, die so genannten Benes-Dekrete sind nun zu einem europäischen Thema geworden. Was ist hier Österreichs weitere Linie? Schüssel: Der Auslöser sind ja die vollkommen absurden Thesen des tschechischen Premiers Milos Zeman über die Sudetendeutschen als fünfte Kolonne Hitlers und der Vertreibung als geradezu milde Strafe. Gott sei Dank wird das immer stärker in Tschechien selbst abgelehnt. Und das Europäische Parlament beginnt mit einer rechtlichen Prüfung der Dekrete. Niemand kann die Benes-Dekrete ungeschehen machen, aber man muss die Rechtswirkungen dieser Dekrete abdrehen. Es können ja im heutigen Europa nicht Gerichtsurteile mit Berufung auf diese menschenrechtswidrigen Dekrete gefällt werden. Standard: Die Tschechen fürchten dann Entschädigungsforderungen der Sudetendeutschen. Schüssel: Das ist nicht juristisch zwingend. Sonst hätten ja wir zum Beispiel nicht freiwillig, ohne Druck von außen, in der Zwangsarbeiterfrage oder in der Frage der Entschädigung jüdischer Mitbürger etwas gesetzt. Die Forderungen der Vertriebenenverbände gehen selbstverständlich weiter, aber das kann man juristisch zunächst einmal trennen. Tschechien muss es selbst entscheiden Standard: Sie empfehlen also den Tschechen eine freiwillige Entschädigung nach österreichischem Muster ? Schüssel: Meine Empfehlung war immer zu sagen, das ist totes Unrecht - und dass das mit dem Beitritt zur EU auch rechtlich einwandfrei sichtbar wird. Damit sind nicht zwingend die Entschädigungsfragen verbunden, aber es ist ein Thema, das jeder mit sich ausmachen muss. Wir haben es für uns gelöst, und es war eigentlich eine Befreiung. Aber das muss Tschechien selbst diskutieren. Standard: Zur Innenpolitik: Haider schießt dauernd quer. Kann man so regieren? Schüssel: Also, wir müssen die Budgetkonsolidierung weiter sichern. Wir haben überdies ein Konjunkturprogramm begonnen, und es muss zu einer dramatischen Verschärfung des Kampfes gegen die Schwarzarbeit kommen. Dann die Abfertigung neu als das entscheidende Instrument zum Aufbau einer zweiten Säule der Altersversorgung.Die Unireform im Sinne von Marktorientierung und Leistung muss kommen. Dann erst werden wir den Spielraum ausloten für Lohnnebenkostensenkung und Steuersenkung. Standard: Haider macht aber schon Vorgaben, dass auch bis 1800 Euro monatlich entlastet werden soll. Schüssel: Im Sommer, keinen Tag früher, beginnt die Diskussion über Budget 2003 und Steuersenkung. Geduldiges Zusammenführen unterschiedlicher Standpunkte Standard: Alle paar Monate gibt es eine Koalitionskrise. Kann man so regieren? Schüssel: Ich sehe meine Rolle im geduldigen Zusammenführen von unterschiedlichen Standpunkten. Das ist mein Weg. Standard: Die FPÖ tauscht immer wieder Minister aus. Kann man so regieren? Schüssel: Wie man sieht. In meinem Team gab es keinen einzigen Wechsel. Ich glaube nur, dass die Vizekanzlerin für sich das Recht hat, ein optimales Team zusammenzustellen. Dialogischer Regierungsstil Standard: Sie gelten als der große Schweiger, der sich nicht oder zu spät zu den Provokationen seines Partners Haider meldet. Schüssel: Ich bin kein Meister der Selbstinszenierung, ich pflege einen dialogischen Regierungsstil. Und Österreich ist nicht auf eine Person und deren Befindlichkeit reduzierbar. Ich führe ja auch diesen Dialog mit dieser Person, aber wir können nicht ständig "Und täglich grüßt das Murmeltier" spielen. Standard: Herr Bundeskanzler, Sie waren früher ein Konsenspolitiker, nun gibt es einen Graben zwischen Ihnen persönlich und der SPÖ. Schüssel: Na gut, ich habe zu Alfred Gusenbauer gesagt, wer keine Partner hat, der hat auch keine Partnerpobleme. Wer eine ganze Partei wie die FPÖ und ihre Wähler total ausgrenzt und uns die ganze Führung abspricht, der wird halt Schwierigkeiten haben, partnerfähig zu sein oder zu werden. Aber das ist sein Problem, nicht meines. (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 2./3.3.2002)