Musik
Wassergott und Discokönig
Wipeout-Sänger Dieter Bruckmayr am Akademietheater
Der österreichische Ausnahmemusiker und
Wipeout-Sänger Dieter Bruckmayr möbelt nicht
nur brachliegende Landdiskotheken auf: Er
spielt in der Uraufführung von Raoul Schrotts
"Gilgamesh" am 3. März auch die ozeanische
Urgestalt Enki. Ein Porträt von Christian Schachinger
Wien - "Früher ist man ins
Museum als zahlender Gast
gegangen, heute tritt man dort
als Lipizzaner auf." Dieter
Bruckmayr, unlängst mit 35
Jahren frisch gebackener Doktor der Handelswissenschaften mit dem Forschungsthema
"Fürsorgepolitik im Dritten
Reich" geworden, sieht sein
Engagement als Schauspieler
und Soundgestalter in der am
Sonntag Premiere feiernden
Akademietheater-Inszenierung des von Raoul Schrott
neu übersetzten Gilgamesch-Epos eher gelassen. Und er
weiß als ganzkörpertätowierter Veteran der österreichischen Performancekunst
auch, warum man eventuell
gerade auf ihn gekommen ist.
Wobei gelassen auch das falsche Wort ist. Didi Bruckmayr
geht nämlich gern auf Konfrontationskurs. Und Didi
Bruckmayr geht nur auf Konfrontationskurs, wenn er daraus auch etwas lernen kann.
Lernen bedeutet in diesem
Fall nicht nur, dass er als Extremsänger von in internationalen Avantgardezirkeln seit
Jahren anerkannten Bands wie
Fuckhead und Wipeout oder
als Künstler beim Festival
Wien Modern eine im sonst
gewöhnlich als faul und fatalistisch verschrienen Genre
des Underground bemerkenswerte Disziplin an den
Tag legt. Diese hat möglicherweise auch damit zu tun, dass
er seine in sich wütenden
dunklen Kräfte mit Regelmäßigkeit sozusagen regulativ in
ihren Schranken hält.
Handelswissenschaften,
Fitnessstudio, Gesangsausbildung, die Beschäftigung mit
der Kultur der so genannten
"Modern Primitives" - und in
der Vergangenheit vor allem
auch über körperliche Machbarkeitsstudien mit dem Brachialelektronik-Heavy-Metal-Free-Form-Ensemble
Fuckhead. Im Vorjahr erfuhr
Bruckmayr so sogar eine Würdigung mittels einer BBC-Dokumentation: "Wir sind jetzt
international anerkanntes
Kulturgut - und wir werden
deshalb größenwahnsinnig!"
Aus Engagements wie jenem als "Enki, Gott des unterirdischen Süßwasserozeans" am Akademietheater erhofft sich Didi Bruckmayr allerdings nicht nur Lehren für
seine Arbeit als Musik-Arbeiter. Der finanzielle Polster,
den er sich damit für das
Restjahr schafft, dient neben
seiner neuen Liebe für computergenerierte visuelle Partygestaltung auch dazu, das
musikalische Projekt Wipeout
weiterzuverfolgen.
Das mittlerweile vom Trio
zum Quartett aufgestockte
Linzer Altherrenensemble,
neben Bruckmayr bestehend
aus Szenegrößen wie dem von
Monochrome Bleu bekannten
Fadi Dorninger sowie Alex
Jöchtl und Dieter Kern, hat
nach einer Bearbeitung von
Nestroy-Couplets im Vorjahr
gerade ein neues Album veröffentlicht. Und der selbstironische Discopop-Sound, der
sich hier über elf Songs auf der
CD
Anthems For The Underachievers
erschließt, muss
schon jetzt zum Besten gezählt
werden, das der österreichischen Szene in den letzten
paar Jahren passiert ist.
Veröffentlicht hat man das Album auf dem von STANDARD-Zeichner Tex Rubinowitz
mitbetriebenen Label Angelika Köhlermann.
Amanda Lear regiert!
Die an Erasure oder The
Human League auf hetero oder
an die grandiosen Sparks auf
Schnaps aus dem Discountladen erinnernden Discohymnen wie "Subwoovers On
Wheels", "Euroboy" oder "I'm
In Good Shape So I'm Fine"
belegen allerdings eines. Erstens: Amanda Lear, die in
den Siebzigerjahren von Giorgio Moroder produzierte, heutige Klassikerin von Jukeboxes
in Branntweinlokalen, regiert
immer noch! Im Übrigen
veröffentlicht sie demnächst
ein Comeback-Album. Fakt.
Zweitens: Wenn die Disco zu
wenig Geld und Niveau hat,
dann legt es die Disco halt auf
grindig an.
Didi Bruckmayr: "Häusl-
oder Grind-Disco, das sind Begriffe, mit denen ich sehr viel
anfangen kann. Seit meiner
Bundesheerzeit war ich zwar
nicht mehr so oft in solchen
Lokalen, aber wenn ich heute
frühmorgens zufällig in so etwas reinfalle, freut es mich
noch immer, dass man in der
Jukebox Lieder wie Amandas
'Follow Me' findet."
Authentisch muss es trotz
aller Kunstbeflissenheit dann
nämlich schon auch sein.
Deshalb stellte sich Didi
Bruckmayr bezüglich seines
Engagements am Akademietheater auch keinem Casting.
Er lud eine Theaterabordnung
rund um Regisseur Theu Boermans auf ein Konzertvon Wipeout ein. Bruckmayr:
"Die waren dann auch alle
recht amüsiert. Bei aller
ernsthaften Probenarbeit auf
dem Theater muss ich aber
schon eines sagen: Falls das
mit 'Gilgamesh' schiefgehen
sollte, weiß ich ja dann auch,
wohin ich wieder zurückgehen kann und mich dabei
auch noch wohl fühle."
Mögen die "Subwoovers On
Wheels" für immer mit ihm
sein!
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 1. 3. 2002)