wolford
Ich lese gerade in einem alten "Spiegel" über die neue sexuelle Revolution, als das Telefon läutet. Es ist M., er ruft aus Los Angeles an. M. nennt sich gerne der "Mann mit den sieben Leben", er bezieht das auf seine berufliche Laufbahn oder besser gesagt auf seine berufliche Orientierungslosigkeit. Wenn man ihm glauben darf, ist er gerade bei seinem sechsten Leben angelangt. In seinem ersten Leben, das war nach Abschluss der Handelsakademie, war er Buchhalter. Das Leben jenseits von Soll und Haben hat ihn aber mehr interessiert, weswegen es nur ein kleiner Schritt zum DJ in einer Provinzdisco war. Dort ließ er die Puppen tanzen, dass es nur so krachte. Nach wenigen Wochen gelang M. der Schritt in die Selbständigkeit. Als Clubbing-Veranstalter machte er, fand er, eine noch bessere Figur und außerdem ein kleines Vermögen. Leider kamen dann Clubbings aus der Mode. M. wechselte ins Journalistenfach. Seine Society-Berichte in Frauenzeitschriften langweilten nicht nur ihn bald. Es war Zeit für einen Wechsel. Warum nicht zum Fernsehen gehen? M. versuchte sein Glück bei einer Vorabendserie und tauchte in die Welt der Seifenoper, die er gleich als die seine identifizierte. Jetzt sitzt er in Los Angeles und hat seine wahre Berufung gefunden, sagt er. Er schreibt Biografien für Stars und Sternchen und hat mit der Autobiografie eines weiblichen Pornostars, die er als Ghostwriter verfasst hat, einen Knüller gelandet. M. ist glücklich. Sein eigenes Sexleben hat ihn sowieso nie interessiert, das der anderen immer brennend. Die weibliche Psyche hat er als Mann nie verstanden, aber seit er in die Rolle dieser Pornokönigin geschlüpft ist, wird ihm einiges klar. Mir auch, aber das sage ich M. nicht. Nur, dass der Spiegel keine Ahnung hat, von wegen sexuelle Revolution. Dann frage ich M. noch, was sein siebtes Leben sein wird, aber ich glaube, ich kann es mir denken. derStandard/rondo/1/03/02