Ein Koffer müsste man sein. Genau gesagt, mein Koffer. Was ich mir in meinem langen Erdenleben von so manchem Koffer gefallen lassen musste, ist wirklich nicht von Pappe. Kein Wunder also, dass ich Ihnen an dieser Stelle schon einige Male, wenn es so mancher Koffer einfach zu bunt mit mir trieb, mein Herz ausgeschüttet habe.

Ich weiß, man soll in Zeiten wie diesen, in denen es uns angeblich so gut geht, nicht jammern. Deshalb habe ich Ihnen auch vor nicht allzu langer Zeit versprochen, nie mehr über das, was ein Koffer mir antut, Klage zu führen.

Wenn ich dieses Versprechen nun breche, hoffe ich fest auf Ihre gnädige Nachsicht. Immerhin bin ich ja wirklich nicht der Einzige, der nicht hält, was er versprochen hat. Genau genommen besteht ja die ganze Weltgeschichte aus nichts anderem als aus einer niemals endenden Serie von gebrochenen Versprechen.

Da kommt es auf einen Koffer mehr oder weniger ja wirklich nicht mehr an. Es ist ja auch nicht so, dass ich mich über jede Kleinigkeit aufrege. Aber mein Koffer hat es mit mir in letzter Zeit einfach zu arg getrieben. Er mag mich einfach nicht. Das kann ich gut verstehen.

Doch in einem Zusammenleben gibt es immerhin bestimmte Spielregeln. Zu diesen gehört doch ohne Zweifel, dass man sich nicht mir nichts, dir nichts aus dem Staub machen kann. Ich lasse, was ich oft am liebsten täte, das dreißig Kilo wiegende Monstrum schließlich auch nicht einfach stehen, sondern zerre meinen Gefährten treu zum Check-in-Schalter.

Und wie dankt er's mir?

Er büchst aus. Fliegt statt nach Wien einfach nach Prag. Keine Ahnung, was er dort wollte. Als er irgendwann mit dem Taxi ankutschiert kam, schwieg er beharrlich. Er ist nämlich obendrein noch verstockt und spricht kein Wort mit mir. Vielleicht hat er Herrn Zeman einen Höflichkeitsbesuch abgestattet.

Wie viele Koffer halte ich ihn nämlich für politisch überkorrekt. Was natürlich auch sein Gutes hat: Zumindest musste ich in den einsamen Tagen der Trennung nicht befürchten, er wäre in geheimer Mission nach Bagdad gereist.

Dafür spielte er mir in unmittelbarer Folge gleich einen weiteren Streich. Er blieb einfach, wo er war, und ließ mich allein nach Hause fliegen.

Ich verhehle nicht, dass ich für diese Eskapade sogar gewisses Verständnis aufbringe. Er wollte halt noch ein bisschen länger auf der in ewigem Sonnenschein blühenden Insel Teneriffa verweilen und nicht zurück in die winterdunkle Heimat.

Um solches zu wünschen, braucht man fürwahr nicht unbedingt ein Koffer zu sein: Schließlich gibt es ja auch noch Menschen, in deren Busen sich noch Gefühle regen.

Außerdem, bitte schön, wer möchte schon hinein in eine solche altersmüde fliegende Thrombosetonne, in deren viel zu enge Sitzreihen die AUA zwischen Österreich und den Kanaren mit aller Gewalt die sonnenhungrigen grauen Panther samt zugehörigen Stöcken und Krücken pfercht?

So etwas kann man nur mit Menschen machen. Mein Koffer zum Beispiel lässt sich so etwas nicht mehr gefallen. Schließlich ist doch in diesen Tagen auch schon der aggressivste Koffer mit aller Gewalt gegen die Gewalt.

Doch mit der frommen Parole, er sei eben gegen jede Gewalt, lasse ich mich von meinem Koffer natürlich auch nicht abspeisen. Abgesehen davon, dass er es nach seiner Heimkehr schließlich nicht einmal der Mühe wert befand, dieses Argument zur Entschuldigung für seine eigenmächtige Extratour ins Treffen zu führen.

So darf ich mich nur mit der Annahme trösten, ich sei im gegenwärtig allerorten tobenden Krieg gegen die Gewalt zum unvermeidlichen Kollateralschaden geworden.(Der STANDARD, Printausgabe 28.2.2002)