Foto: APA/ dpa/Frank Leonhart
Zäh ist, wer trotzdem lacht: Elisabeth Schweeger
Mit Zähigkeit und einem bescheidenen Etat von 7,6 Millionen Euro kämpft in Frankfurt die österreichische Schauspielintendantin Elisabeth Schweeger gegen die Ungunst der Stunde: Vielleicht stehen die Stadttheater, wie wir sie kennen, vor dem Crash.
Von Ronald Pohl
Frankfurt/M. - Die Goethe-Stadt Frankfurt zerfällt in zwei getrennte Sphären: In den Geschäftszeiten wälzt sich eine alltagsbunte Masse durch die "Fuzo". Vorbei am "Römer" passiert man Kauf- und Kinocenter, schiefergraue Wahrzeichen des erschwinglichen Konsums. Hier ist alles heiter, aber Hertie. Der Frankfurter Bürger sonnt sich, erzählt Elisabeth Schweeger, im Licht der ansässigen Verlage. Er beugt sich über die Wiege der "Suhrkamp-Kultur". Er geht, wenn es sein muss, ins Theater. Er weiß nur immer seltener, warum er das tun soll. Frankfurt würde sich, kraft seiner Substanz, in nichts von anderen Mittelstädten unterscheiden. Es gäbe ein Goethe-Museum, in dem die speckige Schlafhaube der guten Mutter auf einem Samtpolster ruht. Aber die Stadt hat leider den geschichtlichen Auftrag zugesprochen bekommen, Metropolis zu sein: "Mainhattan". Wie vereinsamte, gläserne Dosenspargel schießen daher Wolkenkratzer in den Himmel: Sie überragen die anliegenden Bürgerhäuser um elendslange Yards und Meter. In diesen vertikalen Glassarkophagen verflüchtigt sich das zu ebener Erde gepflegte Menschenbild von der guten Bürgerkommune. Es wird übersetzt in einen lichtgeschwinden Strom von Daten und Geldwertzeichen. Irgendwo an der Nahtstelle zwischen Bürgermeile und Glasviertel liegt auch der zugige Willy-Brandt-Platz, an seiner Seite der bleierne Gebäudekomplex von Schauspiel und Oper. Mitten auf dem Rasen steht ein zirka drei Meter hohes Euro-Zeichen. "Wir liegen hier irgendwie exterritorial", lacht Schweeger. Alles wird neu Sie sitzt kettenrauchend in der neu ausgestalteten Kantine des Frankfurter Schauspiels: als hätten Eichinger oder Knechtl einen Tofu-Chinesen mit Beize verschönt. Sie wird ihres Lebens in Frankfurt (noch) nicht recht froh. Die gebürtige Wienerin amtiert erst seit Herbst am Main-Ufer. Die veröffentlichte Meinung hat ihr gleich nach zwei, drei Produktionen eine Art Unfähigkeitserklärung ausgestellt. Eine Peter-Greenaway-Produktion über zentrale Frankfurter Kunstfertigkeiten, die Gewinnung von Gold und die Verdrängung von Schuld, wurde gellend ausgepfiffen. Einer aufwändigen Penthesilea -Produktion wurde jede Kunstberechtigung rundweg abgesprochen. Der Start der Kunstmanagerin war ein ohrenbetäubender Crash. Warum diese Vehemenz der Ablehnung, Frau Schweeger? Doch nicht bloß deswegen, weil Sie als Frau eine Männerdomäne besetzt halten ...? "Also erstens weiß man, es ist Frankfurt." Vor Beginn des Gesprächs hatte sie noch die an der Kantinenwand neu befestigte Wanduhr hergezeigt: "Ich musste die Kantine ja renovieren", fügt sie hinzu, "da schwirrten Ratten herum." Ein eleganter Seitenhieb auf das schmucklose Regime ihres Vorgängers Peter Eschberg, übrigens Österreicher. Dessen Frau, eine Schauspielerin, verstand es glänzend, vor Anstehen einer Vertragsverlängerung dem Kulturdezernenten abendlich aufzukochen. Auf dessen Porzellanteller stand dann sein Namensschild: mit Titel auf Bütten. Am Frankfurter Schauspiel seien schon so hochnotable Leute wie Adolf Dresen, Günther Rühle oder Hans Neuenfels gescheitert, erzählt Schweeger. Neuenfels? Der hatte, bei 700 Sitzplätzen, an manchen Abenden 15 Leute drin. Waren Sie bis dato zu hoffnungsfroh im Formulieren Ihrer Ziele, Frau Schweeger? "Die Vehemenz der Ablehnung hat wohl auch damit zu tun, dass ich aus einem anderen Terrain komme." Zuletzt kuratierte sie den österreichischen Beitrag zur Kunstbiennale in Venedig. Elisabeth Schweeger erzählt ingrimmig lachend, dass sie sich bei Kunststaatssekretär Morak mit allen ihren Ansichten in die Nesseln gesetzt habe. Schweeger ist seit je die große Standesbeamtin der Kunstdisziplinen gewesen: In den von ihr geleiteten Institutionen, zuletzt im Mün-chener Marstall, mussten die schönen Künste um jeden Preis Hochzeit halten. Manch-mal sträuben sich die Verkuppelten aber gegen die Verheiratung. Dann setzt es Unverständnis. Und Frankfurt ist groß in Sachen Unverständnis. Sie sagt: "Es geht darum, dass die Klassik nicht ausgeblendet wird, aber in eine Waagschale mit der Moderne gebracht wird. Das funktioniert in der Tat immer weniger. Aber da sind wir bei Gott nicht das einzige Theater." Schweeger beginnt den neuralgischen Punkt nachhaltig zu massieren. "Das klassische Bürgertum, das ins Theater geht, gibt es gar nicht mehr! Frankfurt wirkt modern, ist es aber nicht. Es sieht aus wie New York, ist es aber nicht. Es ist kleinbürgerlich, was mit der Geschichte zusammenhängt: weil der jüdische Teil der Bevölkerung einfach wegbrach. Das hat sich nicht wieder regeneriert." Es geht voran Hat Frankfurt ein Standortproblem? "Die Leute, die heute für die Bühne arbeiten, sind großteils jünger als die im Zuschauerraum. Ich merke es an mir selber, muss es aber akzeptieren. Denn wer geht sonst in zwanzig Jahren überhaupt noch ins Theater?" Werden die Theater bald zugesperrt werden? "Kultur ist nicht länger die Grundlage von gesellschaftlichen Prozessen. Denn wenn jeder nur noch über sein Überleben nachdenkt, fallen die kulturellen Ansprüche erst einmal weg. Das Bürgertum hat sich in den letzten zwei Jahrhunderten seine Institutionen geschaffen, um Orte der Identität herauszubilden. Das ist im Augenblick offenbar nicht mehr notwendig. Die ganze wirtschaftliche Ebene hat die Reflexion bereits mit eingebaut. Wenn die Ökonomen nicht nachdächten, würden sie ja wegbrechen." Nach einer etwas zwangslustigen Raststätte in den Kammerspielen war am vergangenen Wochenende Dea Lohers merkwürdiger Neo-Woyzeck Adam Geist im Schauspiel zu sehen: Die junge Regisseurin Sandra Strunz klebte den erhabenen, manchmal auch nur erlahmenden Bilderbogen, in dem es würgemalerisch fleißert und fassbindert, mit lauter Spaßkulturideen blickdicht zu. Eine Blaskapelle aus Höchst spielte auf, der Männergesangsverein Concordia aus Schwanheim summte vielmundig: "Wohin soll ich mich wenden, wenn Gram und Schmerz mich drücken?" Im Anschluss fand im Foyer, dem "Glashaus", ein Gespräch mit dem schütter erschienenen Publikum statt. Die Kantinenuhr mochte halb elf Uhr angezeigt haben, als eine mittelalterliche Dame sichtlich erregt das Leitungsteam beschimpfte: "Wer soll denn das noch alles verstehen?" Der Regen graupelte gemächlich auf das gegenüberliegende Euro-Denkmal. Die Glasspargel standen still und schwiegen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28. 2. 2002)