Der Prozess gegen Slobodan Milosevic vor dem Tribunal für Kriegsverbrechen in Den Haag verwandelt sich allmählich in einen Albtraum für die serbische Regierung, die ihn im vergangenen Jahr an das Tribunal auslieferte. Zwei Fernsehsender übertragen live das Gerichtsverfahren, die Einschaltquoten brechen alle Rekorde, schlagen sogar die beliebten südamerikanischen Seifenopern.Meinungsforscher sind sich einig, dass die gekonnte Demagogie von Milosevic in Serbien voll zur Wirkung kommt. Die Popularität des gestürzten Diktators wächst, ebenso die Abneigung der Serben gegen das Tribunal. Mit Genugtuung beobachten viele Serben, wie Milosevic die Zeugen der Anklage auseinander nimmt und ihre Glaubwürdigkeit infrage stellt. Kopfzerbrechen bereitet Belgrad vor allem, woher Milosevic die exakten Angaben über die Zeugen hat. Alles weist darauf hin, dass der jugoslawische Expräsident die Logistik für seine Verteidigung vom militärischen Sicherheitsdienst erhält. "Die Angaben, über die Milosevic verfügt, weisen auf eine gründliche geheimdienstliche Arbeit", meint Sicherheitsexperte Ljubodrag Stojadonovic. Durch genaue biografische Kenntnisse würde es Milosevic gelingen, die Zeugen zu verwirren und die Thesen auszutauschen. Laut dem Belgrader Radiosender B 92 sollen alle militärischen Geheimakten über den Kosovo während der Nato-Luftangriffe spurlos verschwunden sein. Serbiens Premier Zoran Djindjic gerät unter Zugzwang. Einerseits droht der US-Kongress die finanzielle Unterstützung für Serbien einzustellen, falls andere Angeklagte bis zum 31. März nicht ausgeliefert werden. Andererseits sind in der durch Milosevic’ Auftritte erhitzten Stimmung Unruhen in Serbien nicht auszuschließen. Die politischen Kräfte in Jugoslawien konnten sich bisher nicht einmal über ein Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem Tribunal einigen. Für ein mögliches Blutvergießen bei der Verhaftung des von rund einhundert schwer bewaffneten Soldaten beschützten bosnisch-serbischen Generals Ratko Mladic könne er die Verantwortung nicht übernehmen, erklärte Djindjic. Für die meisten der rund 500.000 serbischen Flüchtlinge aus Bosnien ist Mladic ein Volksheld. Wie der Standard erfuhr, würden die vier Spezialeinheiten von Polizei und Armee den Befehl, Mladic zu verhaften, bedenkenlos verweigern. (DER STANDARD, Print, 28.2.2002)