Grafik: Kahl/Goldmann
Der Mullah von Bullerbü , Gemeinschaftsarbeit von Wiglaf Droste und Gerhard Henschel ist ein kleiner anziehender Roman, bei dessen Beschreibung man nicht umhin kommen wird, den einen oder anderen Namen zu zitieren. Er besteht nämlich aus solchen. Der Nautilus-Verlag wirbt für das Buch, das man allein schon aufgrund des wunderschönen Covers (Ernst Kahl hat es gemalt), auf dem ein schwarzer Mullah Feuer speit, kaufen möchte, mit dem eindringlichen Slogan: "Der härteste Thriller seit 'Urmel aus dem Eis'!" Droste, der Mike Tyson aus Berlin, der grazil und brutal hinlangt, und Henschel, der David Coulthard (Stephan Eberharter?) aus Hamburg, bieten in Romanform Neues aus dem gruseligen Schröderland. Gehören Sie zu jener Schnittmenge, die maximal zwei ORF-Programme empfangen, sollten Sie vielleicht die Finger von einem Buch mit folgender grob skizzierter Handlung lassen: Gisela Gützel, auf Wäsche-Fritz angesetzt, tingelt durch den Orient. Sie ist die schönste Kommissarin der Welt, selbst dann, wenn sie einen Mullah niederhaut, in seine Kleider schlüpft und sich einen Schnurrbart aufmalt, um ins Zentrum des arabischen Wäschefetischismus vorzustoßen. Nebenbei erfährt man unter anderem von den düsteren Machenschaften zweier Antagonisten, Hans Küng, Tübinger Weltethiker und Top-Ketzer, und Eugen Drewermann, seinem Erzrivalen. Überhaupt schwirren jede Menge Scheusale durch den Roman: Günter Grass, neuer Trainer des SC Freiburg, schlittert mit seinem etwas unbeweglichen Torwart (der Urne von Willy Brandt) in ein 0:96-Debakel. Wolf Biermann legt sich ins Zeug, um Egon Krenz aufs Schafott zu bringen, was aber erst Gerd Haffmans mit Hilfe des Europäischen Gerichtshofs gelingt, der "Mauer-Egon" styroporisieren und zu Lottokugeln verarbeiten lässt. Eben dieser Haffmans kann sich später nicht von seinen "Quittungen aus zwei Jahrzehnten verlegerischer Pionierarbeit", diesen "Quittungen für die Menschen von Emden bis Zittau" trennen, und wird beim allgemeinen Astro-Aufbruch auf der Erde zurückgelassen, ebenso wie der Fahrraddieb Rudolf Scharping, der "einen Köpper in sein Innenleben" macht. Das alles geschieht in gewohnt lässiger Manier, wobei man im Hintergrund das Lachen der Autoren beim Zerschlagen des deutschen Familienporzellans und beim Araber-Bashing zu hören meint: "Die Stille im Raum war kaum auszuhalten. Irgendwo platzte ein Scheich." Jugendfrei und moralisch ist das alles keinesfalls: Droste und Henschel bringen eine Menge sinnlose Gewalt in die Weltliteratur. Jakob Moneta, der König der Verbrecher, plaudert in einer ergreifenden Schlussszene mit dem lieben Gott. Jesus Schnesus! Punk und Bärte, das ist ein Gegensatzpaar wie Sex und Essig, und das ist auch ein guter Grund, eine gute Anthologie zusammenzustellen, wobei Tex Rubinowitz und Max Goldt 5 Frauen und 24 Männer versammelt haben, allesamt Spezialisten für Gegensätze. Um die bei Droste und Henschel begonnene Namensorgie fortzuführen, hier ein paar Beispiele: Thomas Kapielski trifft Nitsch und Haider, Wolfgang Müller schreibt die Kulturgeschichte der Band "Die tödliche Doris", Joachim Lottmann reist Knud Hamsun nach, Christoph Winder porträtiert expressionistisch eine schäbige Wohnung, Mariola Brillowska entwirft eine schräge Snupiekult-Welt, Klaus Nüchtern war nie Punk, sondern immer nur Hesse-Beauftragter, Werner Büttner hält eine verstörende und originelle Gewaltrede ("Das Judasevangelium" aus dem Jahr 1987), Max Goldt analysiert die Plattenkauf-Ästhetik im Göttingen ("Du wirst dich eines Tages noch zu Tode ärgern, weil du die Preisschilder entfernt hast", hieß es dort in den Siebziger Jahren), Tex Rubinowitz fragt im Rabenrätsel nach jener legendären Punkband, die eigentlich keine war, dafür aber einen ultraanstrengenden Keyboarder hatte, und mit Franz Schuh (im Rabe-Essay) erhebt endlich jemand (ein Bärtiger!) die Stimme gegen die peinlichen inneren Monologe, die immer dann abgesondert werden, wenn Schauspieler in Interviews über Rollen oder Autoren referieren. Und dann ist da noch der berührende Artikel des präsumptivten Bartträgers Johann Hauer, der ganz sicher glaubt, "das die Welt größer ist als wir sie sehen und wir Menschen auch", weil "ein Ochs sieht 3-4 mal so groß wie der Mensch auch das Prefd sieht alles größer". Hobby-Poet Hauer schreibt Prefd, nicht Pferd, ehrlich! Auch sonst findet selbst der Anthologie-Muffel in diesem Raben viel Ansprechendes. Ein paar faszinierende Beiträge sollen an dieser Stelle, um Namen zu sparen, ritueller- und ungerechterweise vergessen werden, wie jedesmal bei Anthologie-Besprechungen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23./24. 2. 2002)