Unter dem Zeichen der Glocke, dem Symbol der technischen Universität Qinghua, wehte wieder das Sternenbanner, so wie einst 1911, als die Hochschule gegründet wurde, die heute Chinas bedeutendste Kaderschmiede ist. Damals kam das Gründergeld aus einem Topf mit elf Millionen Dollar in Gold - 160 Millionen Euro wären es heute -, die die Qing-Regierung als "Sühne" für den Boxeraufstand an die Amerikaner gezahlt hatte. Diese überließen das Geld China, stellten aber die Auflage dafür Hospitäler, Schulen und die Qinghua-Schule auf dem Gelände der kaiserlichen Gärten in Nordwestpeking zu bauen.Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice hatte sich die Elitehochschule, an der mehr als 300 der heute amtierenden Führer Chinas studierten, als Bühne für den live vom Staatsfernsehen übertragenen Höhepunkt des Besuchs gewünscht, und Bush nutzte sie weidlich aus. Vor wenigen hundert ausgewählten Qinghua-Studenten und vielleicht 300 Millionen Fernsehzuschauern verkündete er seine Sicht über religiöse Werte, Familie und Toleranz; er warb für Freiheit und den "way of life", der alle davon träumen lässt, in die USA zu kommen: "Ich bete dafür, dass alle Unterdrückung endet und dass alle sich in China so frei versammeln und andächtig sein dürfen, wie sie es wollen." Überraschungsgast Hu

Pekings Politbüro, das schon US-Präsident Bill Clinton 1998 einen solchen Live- auftritt in der Pekinger Universität erlaubte, machte gute Miene dazu und hielt für Bush eine weitere Überraschung bereit. Der dynamisch wirkende Vizepräsident Hu Jintao durfte Gastgeber spielen und Bush in der Universität begrüßen. 1965 hatte Hu an der Qinghua - "meiner Alma Mater" - als Wasserbauingenieur graduiert. Bisher ist der 59- jährige Parteifunktionär, der im Herbst beim großen Politkarussell des 16. Parteitages zum neuen Führer Chinas aufsteigen soll, für US-Politiker ein unbeschriebenes Blatt. Bush hat Hu nun zu einem Besuch in die USA eingeladen. Auch die Bevölkerung erlebte den designierten Nachfolger für Parteichef Jiang Zemin erstmals live. Seine Anwesenheit gab einem Appell Bushs an China, die Wahlfreiheit zuzulassen, noch mehr Brisanz. Er warte auf den Tag, an dem in China demokratische Wahlen auf allen Ebenen, auch der nationalen, durchgeführt werden, sagte Bush. Bei diesen Worten zeigte sich auf manchem studentischen Gesicht ein Feixen. Mit seiner direkten, als "erfrischend" und "natürlich" gelobten Haltung und weniger mit seinen rednerischen Qualitäten nahm Bush die Qing hua-Studenten für sich ein, die zuvor im Internet verkündet hatten, sie wollten dem US-Präsidenten "knallharte Fragen stellen". Trotz einiger kniffliger Themen wie der US-Haltung zu Taiwan hatte er leichtes Spiel. "Bush hat uns geprüft und nicht wir ihn", höhnten deshalb am Abend die Kommilitonen der Pekinger "Beida"-Universität im Internet. (DER STANDARD, Printausgabe, 23./24.2.2002)