Enron verkaufte sich nicht nur als ein trotzig "revolutionäres" Unternehmen, es verkaufte auch die Deregulierung als großen Fortschritt der menschlichen Freiheit. Denn schließlich wollte man ja nach dem Slogan "Power to the People" die Macht ans Volk zurückgeben.Wenn die Wähler einmal nicht mitmachen wollten, musste Enron freilich mit anderen Mitteln arbeiten, und zwar vornehmlich mit reichlichen und völlig legalen Bestechungsgeldern für einflussreiche politische Figuren. Das Unternehmen und seine Manager spendeten routinemäßig - in den USA wie in Großbritannien - gewaltige Summen jeweils an die beiden großen politischen Parteien. So unterstützte Enron-Boss Kenneth Lay die Wahlkampagnen seines Golfpartners Bill Clinton (Demokrat), dessen Regierung sich im Gegenzug energisch für diverse Enron-Aktivitäten im Ausland einsetzte. Großzügig bedacht wurde aber auch der Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus, Tom Delay (Republikaner), der dann aufmerksamerweise ein Gesetz zur Deregulierung des Stromsektors einbrachte. George W. Bush: Fliegen mit Enron Natürlich trug Enron auch seinen Teil dazu bei, George W. Bush zu einer nationalen Figur aufzubauen. Der durfte - noch als Gouverneur von Texas - bei seinen Flügen durch die ganze USA die Firmenflugzeuge von Enron benutzen. Und als Bush jr. zum republikanischen Präsidentschaftskandidaten avancierte, da wurde Enron zum größten Einzelsponsor seiner Wahlkampagne. Kenneth Lay selbst ist geschäftlich mit Vizepräsident Dick Cheney verbunden und Kopräsident von Barbara Bushs "Foundation for Familiy Literacy". Der Einfluss von Enron auf die Bush-Regierung war so groß, dass Lay als einziger Manager der Stromindustrie zu einem Zweiergespräch mit Cheney vorgelassen wurde, als dieser an der höchst fragwürdigen Energiegesetzgebung der Regierung herumbastelte. Lay nahm zudem Einfluss auf die Auswahl der Mitarbeiter der staatlichen Stromregulierungsbehörde. Und in Großbritannien, wo Enron von der Privatisierung der regionalen Wasserwerke erheblich profitierte, trat das Unternehmen 1998 als Sponsor des Labour-Parteitages in Erscheinung. Pfründe für Abgeordnete Noch wirksamer war offenbar die Enron-Waffe, dem Unternehmen gewogene Abgeordnete mit einträglichen Pfründen auszustatten, nachdem jene ihre Arbeit für Enron zufriedenstellend erledigt hatten. Auf dieser Versorgungsliste stehen interessante Namen. Zum Beispiel Wendy Gramm, die Frau des einflussreichen texanischen Senators Phil Gramm, die für die Kommission über den Handel mit Warentermingeschäften arbeitete und dabei durchsetzte, dass sich Enron nicht an das 1993 beschlossene Regelwerk halten musste. Anschließend nahm sie dann flugs einen Enron-Aufsichtsratsposten ein. Oder Lord John Wakeham, der konservative britische Politiker, der eine wichtige Rolle sowohl bei der fatalen Privatisierung der britischen Elektrizitätswerke als auch beim Enron-Einstieg in die britische Wasserindustrie spielte. Auch er erhielt danach einen Sitz im Enron-Aufsichtsrat. Oder Frank Wisner, US-Botschafter in Indien für die erste Clinton-Regierung, der Enron dazu verhalf, den 3 Milliarden Dollar sc! hweren Auftrag zum Bau des berüchtigten Dabhol-Kraftwerks zu bekommen, und der auch den nötigen Druck auf die Inder ausübte, als die später kalte Füße bekamen (damals intervenierte auch der heutige Vizepräsident Dick Cheney). Auch auf Wisner wartete nach seinem Ausscheiden aus dem diplomatischen Dienst ein vorgewärmter Sitz im Aufsichtsrat. Unter den zahlreichen Politikern, die mit Enron liiert sind, befinden sich auch Marc Raciot, der jetzige Vorsitzende der Republikanischen Partei, James Baker, Außenminister von Präsident George Bush sen., Lawrence Lindsay, ein Wirtschaftsberater des heutigen Präsidenten, sowie zwei ehemalige Wahlkampfmanager des demokratischen Präsidentschaftskandidaten Al Gore. Insofern könnten diverse Jünger des freien Marktes aus beiden Parteien im Sumpf des Enron-Skandals versinken. Schlägertrupps Aber Enron zeichnet sich auch noch in einer anderen Hinsicht aus: Es ist wahrscheinlich das einzige Unternehmen, das in einem Bericht von amnesty international erwähnt wird, der detailliert beschreibt, wie von Enron gedungene Schläger die protestierenden Dorfbewohner in der Nähe des Kraftwerks von Dabhol brutal misshandelten. Von weiteren Überzeugungstechniken der Firma Enron weiß Mosambiks Minister für Bodenschätze, John Kachamila, zu berichten, bei dem sich Enron um die Lizenz für ein geplantes Erdgasprojekt beworben hatte: "Es gab regelrechte Drohungen (der US-Regierungsvertreter), Entwicklungshilfe zurückzuhalten, falls wir nicht unterschreiben sollten, und zwar schnell. Ihre Diplomaten, besonders Mike McKinley (damals bei der US-Botschaft in Maputo für den Handel zuständig), bedrängten mich, einen Vertrag zu unterschreiben, der für Mosambik nicht gut war. Er war kein neutraler Diplomat. Er verhielt sich, als würde er für Enron arbeiten. Wir bekamen Anrufe von US-Senatoren, die uns alles Mögliche androhten für den Fall, dass wir nicht unterschreiben würden. Selbst Anthony Lake (Sicherheitsberater von Präsident Clinton) rief an, um uns zur Unterschrift zu überreden. Dann lancierten sie eine Schmutzkampagne gegen uns. Alle behaupteten, wir würden nicht unterschreiben, weil ich eine Provision verlangte - wo ich doch nur bessere Bedingungen für unser Land herausholen wollte." Solcher Art sind die Geschäfte, die Enron-Fürsprecher im Auge haben, wenn sie sich um das Deregulierungsvermächtnis des Unternehmens sorgen. Und sie haben allen Grund zur Sorge. (Tom Frank) Ground Zero der Deregulierung     Mythos Enron     "Es gibt einen Gott"