Wien - "Politisch korrumpiert" sei der Verfassungsgerichtshof (VfGH), hatte Haider vor wenigen Wochen erklärt. Die anfängliche Empörung über Haiders verbalen Seitenhieb gegen das Höchstgericht ebbte rasch ab, die juristischen Wogen glätteten sich. Der Leiter der Wiener Staatsanwaltschaft, Erich Wetzer, sieht keinen Anlass für ein Einschreiten gegen Haider wegen Ehrenbeleidigung. Im "Gesamtzusammenhang" betrachtet, erfüllten Haiders Aussagen nicht den Tatbestand der "Üblen Nachrede" (§ 111 Abs 1 StGB), meint Wetzer zum Standard, schließlich habe Haider seinen Vorwurf dezidiert auf den Bestellmodus der Richter bezogen. Der Wiener Finanzrechtsprofessor Werner Doralt, der selbst Strafverfahren gegen Jörg Haider wegen Ehrenbeleidigung angestrengt hatte, kritisiert im Standard-Gespräch die Untätigkeit der Staatsanwaltschaft. Wird eine Behörde beleidigt, so hat der Staatsanwalt gemäß § 117 StGB von Amts wegen vorzugehen und die Ermächtigung der beleidigten Behörde zur Strafverfolgung einzuholen. Nur wenn eine Anklage gegen Haider aussichtslos wäre, bestünde keine Verpflichtung des Staatsanwaltes, wegen Haiders verbaler Entgleisung vorzugehen, folgert Doralt. Klare Worte Von "Aussichtslosigkeit" könne keine Rede sein, spricht das Strafgesetz doch klare Worte, ist sich Doralt sicher. In ähnlichen Fällen zog der Vorwurf der "Korruptheit" meist eine Strafverfolgung nach sich. Komme die Staatsanwaltschaft ihrer Pflicht zur Strafverfolgung nicht nach, so setzt sie sich laut Doralt damit dem Vorwurf des Amtsmissbrauchs aus. Weshalb sich die Staatsanwaltschaft in diesem brisanten Fall derart ziert, ist für Doralt unverständlich. Zwar möchte er Justizminister Dieter Böhmdorfer nicht unterstellen, den zuständigen Staatsanwalt angewiesen zu haben, in der Causa nicht weiter vorzugehen, doch vermutet er Linientreue: "Die Beamten werden schon wissen, was gern gesehen wird." (DER STANDARD, Printausgabe, 22.2.2002)