Der Kanzler war sauer. Es störe ihn, wenn man während einer Diskussion hinausgehe und eine Veranstaltung schlechtmache. Gemeint war die grüne Abgeordnete Eva Lichtenberger, die an der Inszenierung der "Europarunde" der Regierung zum bevorstehenden EU-Konvent am Donnerstag in der Wiener Hofburg Kritik übte und Schüssel vorhielt, er agiere "wieder einmal als Zeremonienmeister." Die "Europarunde" sei eine Wald-und-Wiesen-Veranstaltung, bei der man "keine einzige konkrete Themenstellung in Sachen EU debattiert" habe.

So ganz hat Frau Lichtenberger nicht Unrecht. Das lag allerdings nicht an den hochkarätigen Teilnehmern der "Europarunde", sondern eher an der Materie. Selbst in jenen Kreisen, die sich professionell mit der Reform der Europäischen Union tagein und tagaus zu beschäftigen haben, hat man noch wenig deutliche Vorstellungen über die endgültige Form der Union.

Die Frage Staatenbund oder Bundesstaat klingt in jeder europapolitischen Grundsatzrede mit. Man weiß nicht so recht, wie eine Union mit 25 oder gar 30 Mitgliedsstaaten in der Praxis funktionieren wird. Die Finanzierung der Erweiterung ist trotz der Berliner Beschlüsse nicht gänzlich geklärt, und erst recht ist offen, wie eine Verfassung für Europa ausschauen könnte.

Diese Vagheit eröffnet naturgemäß ein breites Feld für wunderschön klingende politische Rhetorik. So erntet der Kanzler sicher in breiten Kreisen der Bevölkerung zustimmendes Nicken, wenn er mehr Bürgernähe, eine Vereinfachung der Kompetenzstrukturen, die Reform der Politikinstrumente, die Überprüfung des Institutionengefüges sowie die Neuordnung und Vereinfachung der Verträge vom EU-Konvent verlangt, der in der kommenden Woche seine Arbeit in Brüssel aufnimmt.

Gleichzeitig will er die Interessen der kleinen Mitgliedsstaaten gewahrt wissen. Seiner Ansicht nach sind daher Rat und Kommission zu stärken.

Das alles gleicht der Quadratur des Kreises, die mit Schüssel auch andere europäische Regierungschefs immer wieder versuchen und naturgemäß ebenfalls nicht weiterkommen. Denn Bürgernähe setzt die Parlamentarisierung der Europäischen Union voraus, bedeutet also mehr Rechte für die europäischen Abgeordneten. Diametral entgegengesetzt in der politischen Wirkung ist der von Schüssel artikulierte Wunsch nach einer Stärkung von Kommission und Rat, wo die Nationalstaaten eifersüchtig ihre Macht und Einflussspähren bewachen.

Nicht ohne Grund wird immer wieder vom Treffen der "Reichsfürsten" gesprochen, wenn sich die Regierenden Europas wieder einmal zu einem Gipfel in einer schönen europäischen Stadt versammeln. Hinter verschlossenen Türen wird hier ohne jegliche öffentliche oder gar demokratische Kontrolle wie in einem Bazar gehandelt. Oft mit unabsehbaren Konsequenzen für die Bürgerinnen und Bürger der Unionsstaaten.

Jüngstes Beispiel sind die "Antiterrorgesetze", die auf EU-Ebene geplant werden und die somit jeder Nationalstaat umzusetzen hätte. Alles, was eine Störung des öffentlichen Lebens darstellen oder die Bevölkerung in Unruhe versetzen könnte, würde künftig vor dem Hintergrund einer terroristischen Bedrohung gesehen und dementsprechend bekämpft werden können. Mit allen Möglichkeiten des Eingriffs in die Privatsphäre.

So wie Europa derzeit verfasst ist, widerspricht es dem grundlegenden demokratischen Prinzip, dass alle Gesetzgebung öffentlich sein muss. Die Gewaltenteilung wird nicht eingehalten, da die Minister der Regierungen der Mitgliedsländer die eigentliche Exekutive sind. Aufgabe des Konvents wird es daher sein, Strukturen zu schaffen, in denen die Grundprinzipien der Demokratie abgesichert werden: Gewaltenteilung, Öffentlichkeit der Gesetzgebung, einklagbare Grundrechte.

Gelingt dies nicht, wird die Union zum unerträglichen Geheimbund, der ins Mittelalter und nicht ins 21. Jahrhundert passt.