Das Schreiben kam aus dem drei Busstunden von Peking entfernten Gefängnis, in dem der heute bekannteste Dissident Chinas, Xu Wenli, seine diesmal 13 Jahre Haft in einer Vier-Mann Zelle absitzen muss. Für He Xintong war der Brief das erste Lebenszeichen ihres Mannes, nachdem er am 21. Dezember 1998 verurteilt wurde. Die Angehörigen haben einmal im Monat Anrecht einen Häftling zu besuchen. Sie müssen zuerst auf seine briefliche Einladung warten. Das gehört zu den kleinen Schikanen im Alltag eines politischen Gefangenen.
Der mächtigste Mann der Welt, US-Präsident George Bush, soll sich nun um Xu Wenli kümmern, der seit der Zeit seiner Haft an Gelbsucht leidet, keine unabhängige Untersuchung und keine Medikamente von außen erhalten darf. Xus Frau hat in einem Brief an Bush appelliert, sich bei der Pekinger Führung für eine "Freilassung zur medizinischen Behandlung" einzusetzen. Er hätte eine moralische Pflicht dazu. Er habe China als Teil der Allianz gegen den Terrorismus anerkannt. "Terrorismus aber stützt sich auf Gewaltherrschaft. Mit diktatorischer Gewalt Dissidenten zu unterdrücken ist eine Art staatlichen Terrorismus."
Der besonnene Xu, der niemals Gewalt anwandte, ist Opfer dieses Staatsterrorismus geworden. Er wurde wegen Umsturzversuchs verurteilt, weil er Mitbegründer einer neuen "Demokratischen Partei China" war. Xu erhielt als ihr Sprecher die Höchststrafe zur Abschreckung.
Schon 1979 wurde der gelernte Elektriker als Veteran der Bürgerrechtsbewegung an der "Xidaner-Mauer der Demokratie" für seine Forderungen verhaftet und 1981 zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Bis 1993 saß er in Haft.
Jetzt bringt seine Frau wieder Bücher und erzählt ihm vom Leben draußen. Am 7. Februar berichtete sie von Wanderarbeitern. Um die "muss man sich kümmern. Das sind die Schwächsten", sagte Xu. Sich selbst hält er nicht für schwach. Gefängnisse können ihn krankmachen, aber nicht beugen. (erl, Der STANDARD, Printausgabe, 22.2.2002)