Inland
Von den Grenzen für die Mächtigen
Debatte über Gefährdung des Rechtsstaats durch "letztklassige" Angriffe Haiders
Wien -
"Wenn Mächtige Drohungen ausstoßen, ist Widerstand angesagt." Deutlich artikulierte die Präsidentin der
Richtervereinigung, Barbara
Helige, Montagabend bei der
Podiumsdiskussion "Rechtsstaat in Gefahr?" im Wiener
Juridicum das Unbehagen
über den Umgang mit dem
Rechtsstaat durch die FPÖ
und speziell deren Altparteiobmann Jörg Haider.
Helige sieht "sehr wohl Gefährdungen" für den Rechtsstaat durch die fortgesetzten
Angriffe auf die Institutionen
der Justiz. Dagegen müsse die
Dritte Gewalt auftreten: "Es
geht darum, Grenzen zu setzen: Wenn Macht an Grenzen
stößt, wird sie sie wahrscheinlich akzeptieren. Ohne
Grenzen breitet sie sich weiter
aus." Helige erinnerte in diesem Zusammenhang an den im Vorjahr von 1500 Richtern
unterzeichneten Protestbrief
gegen Angriffe auf die Unabhängigkeit der Richter.
Dass die Richterpräsidentin
mit ihren Sorgen nicht allein
ist, zeigten die Teilnehmer der
Podiumsdiskussion, die außerordentlich gut besucht
war. Neben Helige nahmen
der Präsident des Verwaltungsgerichtshofs, Clemens
Jabloner, Rechtsanwälte-Präsident Klaus Hoffmann, Universitätsprofessor Werner Doralt, die Politikwissenschafterin Sonja Puntscher-Riekmann und Michael Frank von
der Süddeutschen Zeitung teil.
Jabloner sieht den Rechtsstaat noch nicht in Gefahr, der
halte "schon etwas aus".
Gefährdet sei die demokratische Kultur. Diese könne nur
politisch verteidigt werden.
"Schließlich ist die Weimarer
Republik nicht an der schlechten Verfassung zugrunde gegangen, sondern weil sie von
den Eliten abgelehnt wurde."
Das gelinge sicher nicht über
eine Debatte um den Verfassungsgerichtshof (VfGH).
Eindringlich warnte Jabloner die politische Verantwortlichen und speziell die
Opposition davor, sich nach
solchen "Gemeinheiten" gegen den VfGH und dessen Präsidenten unter dem Prädikat
der Objektivierung auf Diskussionen über Änderungen
beim VfGH einzulassen. Auf
keinen Fall dürfte man derzeit
die "dissenting opinion" (abweichende Stellungnahme zu
einem VfGH-Urteil) einführen. "Das sollten wir zivilisierteren Zeiten überlassen."
Eine Beschädigung des
Rechtsstaates liege vor, kons_tatierte Hoffmann - und auch,
dass der Rechtsstaat "in letzter
Zeit ungenügend" in Schutz
genommen worden sei. Als
"letztklassig" bezeichnete er
Haiders Aussagen, vor allem
jene, dass der VfGH "politisch
korrumpiert" sei. Wegen dieser Aussage müsste eigentlich
die Staatsanwaltschaft tätig
werden, der Tatbestand "üble
Nachrede" sei erfüllt, meinte
Doralt. Falls keine entsprechenden Schritte gesetzt würden, treffe wiederum die
Staatsanwalt der Vorwurf des
Amtsmissbrauchs. Der FPÖ
bzw. Haider warf er vor, keinen unabhängig agierenden
VfGH zu wollen, "sondern einen VfGH, der sich sehr wohl
um die Interessen und Wünsche der Regierung kümmert".
Puntscher-Riekmann verwies darauf, dass Angriffe auf
Institutionen bei Haider und
in der FPÖ System hätten. Seit
zehn, fünfzehn Jahren verfolge Haider dieses Konzept. Dieses "eigentliche Skandalon"
werde durch die inszenierte
Ablenkungsdebatte über eine
VfGH-Reform überdeckt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20.2.2002)