Für den Löwenanteil der Stromkunden in Wien hat die Energieliberalisierung noch keine Verbilligung gebracht, ganz im Gegenteil. Mit dazu beigetragen hat der Aufschlag für die umweltfreundliche Energiegewinnung durch die Kraftwärmekopplung (KWK) und eine Tarifreform, die primär Großfamilien und Stromverschwendern zugute kam. Dieses Modell entspricht aber den EU-Vorstellungen, dass Strom eine Ware wie jede andere sei. Daher ist auch ein Mengenrabatt legitim. Ab 1. April sollen auch die "Kleinkunden" - in der Realität rund 90 Prozent aller Abnehmer in der Bundeshauptstadt - weniger zahlen: Wienstrom senkt nämlich die Gebühren für den Stromtransport vom E-Werk bis zur Steckdose. Dadurch werden auch Single- und Pensionistenhaushalte in den Genuss einer niedrigeren Stromrechnung kommen. An diesem Fallbeispiel lässt sich gut festmachen, welche Nebeneffekte eine Liberalisierung mit sich bringt. Dass dadurch alles billiger wird, ist eine Milchmädchenrechnung, die jene besonders gerne machen, denen die Höhe der Stromrechnung wegen ihres Einkommens ziemlich gleichgültig ist. Wienstrom karitative Motive zu unterstellen wäre aber völlig verkehrt. Mit der Senkung der Netzgebühren wird nur jene Erhöhung zurückgenommen, die der KWK-Aufschlag gebracht hat. Für diese Erzeugungsform mehr zu verlangen ist aber legitim, schließlich würde ein privater Kraftwerksbetreiber, der keine Fernwärmekunden hat, seine Anlage herunterfahren, wenn er Strom nicht zu vernünftigen Preisen absetzen kann. Wenn es Monate braucht, bis die preissenkenden Effekte der Marktöffnung durchschlagen, dann wird die vom Wirtschaftsminister Martin Bartenstein angekündigte Liberalisierungsrendite von 1000 Schilling erst im nächsten Jahrzehnt Realität. (DER STANDARD, Printausgabe 15.2.2002)