Kosovo
Djindjic: "Milosevic ist ein Feigling"
Serbische Politiker kritisieren Milosevic' Verteidigungsstrategie
Belgrad - Führende serbische Parteien haben am
Donnerstag scharfe Kritik an der Verteidigungsstrategie von Slobodan
Milosevic vor dem UNO-Kriegsverbrechertribunal geübt. Der frühere
jugoslawische Präsident versuche, seine persönliche Verantwortung auf
das serbische Volk abzuwälzen. "Er ist ein Feigling, der sich hinter
den serbischen Bürgern zu verstecken versucht", meinte ein
Spitzenfunktionär der Demokratischen Partei (DS) des serbischen
Ministerpräsidenten Zoran Djindjic. Milosevic, der das Tribunal nicht anerkennt und sich selbst
verteidigt, hatte in seiner Eröffnungserklärung gesagt, nicht er als
Individuum, sondern das serbische Volk sitze in Den Haag auf der
Anklagebank. "Milosevic darf sich verteidigen, wie er will, aber es
geht auf Kosten seiner Ehre, dass er versucht hat, sich hinter dem
Staat und dem Volk zu verstecken", kommentierte Dragor Hiber,
stellvertretender Vorsitzender der Serbischen Bürgerallianz (GSS) des
jugoslawischen Außenministers Goran Svilanovic. "Hier steht kein
Staat vor Gericht ... Egal, wer wen gewählt hat - er ist
verantwortlich für Verbrechen, die er begangen hat."
Vor "Konsequenzen" für den Staat durch den Prozess warnte Dragan
Marsicanin von der Serbischen Demokratischen Partei (DSS) des
Staatspräsidenten Vojislav Kostunica, "obwohl es ein Verfahren gegen
einen Einzelnen ist".
Prozess gegen das Volk?
Der Gerichtsprozess gegen den früheren
jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic wegen Kriegsverbrechen
im Kosovo, Bosnien-Herzegowina und Kroatien lässt seine Landsleute
nicht gleichgültig. Die Grundfrage lautet dabei, ob der Prozess vor
dem UNO-Tribunal in Den Haag gegen den Ex-Präsidenten oder gegen das
serbische Volk geführt wird. "Niemand wird wagen, das Urteil in der
Causa Milosevic ganz Jugoslawien anzulasten", betonte der Leiter des
Belgrader Menschenrechtszentrums, Vojin Dimitrijevic.
Der politischer Berater des jugoslawischen Präsidenten Vojislav
Kostunica, Predrag Simic, und manch anderer Jurist sind da ganz
anderer Meinung. Sie erwarten "Auswirkungen" auf Prozesse, die
Kroatien und Bosnien vor dem Internationalen Gerichtshof führen.
Verlangt wird Ersatz für Kriegsschäden in Höhe von Dutzenden
Milliarden Dollar.
Kritik an "unüberlegten Äußerungen" serbischer Politiker
Der Völkerrechtsexperte Milan Paunovic kritisierte in der
Tageszeitung "Blic" die "unüberlegten Äußerungen" serbischer
Politiker. Der serbische Ministerpräsident Zoran Djindjic meinte zu
Prozessbeginn am Dienstag, dass Milosevic nun kein Problem Belgrads
mehr sei. Paunovic ist der Ansicht, dass sich Jugoslawien nicht nur
mit der Verpflichtung, für Kriegsschäden an Bosnien und Kroatien
zahlen zu müssen, sondern auch mit ähnlichen Privatklagen bosnischer
und kroatischer Bürger konfrontiert sehen dürfte.
Ein Gegenstand der Debatte sind auch die Tribunalsanklagen.
"Slobodan Milosevic schwebt (in den Anklagen, Anm.) allzu häufig in
einem bedeutungslosen Raum außerhalb des wahren historischen und
politischen Kontextes, in dem die Kriege in der früheren
Bundesrepublik Jugoslawien tatsächlich begonnen hatten", meint dazu
die Wochenzeitschrift "Vreme". Auch ansonsten werden die Ausführungen
der Anwälte als "eher politisch" bezeichnet.
Prozess als Konfrontation mit der Wirklichkeit
Einer der erprobten Haager Verteidiger Rajko Danilovic meint
indes, dass der Prozess gegen Milosevic eine Gelegenheit für die
Auseinandersetzung mit der Realität werden müsse. "Es geht darum,
dass wir uns mit der Wirklichkeit konfrontieren und die Vergangenheit
umbewerten, anstatt nur Milosevic zu verurteilen, im Grunde aber zu
bedauern, weil es ihm nicht geglückt war, seine Vorhaben
(Groß-Serbie, Anm.) in die Tat umzusetzen," so Danilovic.
Milosevics Anhänger sind sich indes sicher, dass die Vorwürfe
"unter dem Druck der internationalen Öffentlichkeit" nicht
standhalten. Milosevic werde freigesprochen werden, sagt Milic
Jovanovic, ein sozialistischer Politiker in der Geburtsstadt des
Ex-Präsidenten Pozarevac.
"Verbrechen am serbischen Volk"
Nebojsa Pavlovic, früher Nachbar der Milosevic-Familie in
derselben Stadt, bedauert dagegen, dass sich die Anklage nicht auch
auf "Verbrechen am serbischen Volk" bezieht. Pavlovic selbst
betrachtet sich selbst als ein Opfer der Politik von Milosevic. Als
Oppositionsanhänger in Pozarevac hatte er vor Jahren seinen
Arbeitsplatz verloren. Auch seine Gesundheit sei angeschlagen, sagt
er.
Mit Spannung verfolgt den Prozess auch der Vater eines
jugoslawischen Soldaten, der während der NATO-Luftangriffe im
Frühjahr 1999 getötet wurde. Der Vater hatte nach dem Tod des Sohnes
eine Auszeichnung zurückgewiesen. Milosevic habe seinen Sohn in den
Tod geschickt, meinte er damals. Nun ist werde ihm Gerechtigkeit vor
dem Tribunals widerfahren. Auch andere frühere jugoslawische Führer
gehörten vor das Tribunal, sagte er dem staatlichen TV-Sender.(APA/dpa)