Inland
Helige im Falter-Interview: "Feuer am Dach"
Die Präsidentin der Richtervereinigung geht mit den Vorstellungen der FPÖ hart ins Gericht
Wien - Die Wiener Stadtzeitung Falter
bringt in ihrer kommenden Ausgabe ein Interview mit Richterpräsidentin Barbara Helige. Lesen Sie im Folgenden Auszüge des Gesprächs:
Falter:
Nächste Woche setzen sich hochrangige Richter, Staatsanwälte,
Rechtswissenschafter in der Universität zusammen und diskutieren unter
dem Motto "Rechtsstaat in Gefahr". Wovor fürchtet sich die Justiz?
Barbara Helige:
Die letzten Wochen wurde die Autorität der Justiz in
Frage gestellt. Es werden Urteile nicht ernst genommen. Stellen Sie sich
vor, jemand stellt sich nach Wahlen hin und sagt: "Das ist mir egal".
Dann ist zu Recht Feuer am Dach. Wahlergebnisse dürfen einem nicht egal
sein. Und Urteile können auch nicht egal sein.
Falter:
Sie haben von "italienischen Verhältnissen" gesprochen.
Barbara Helige:
In Italien gibt es bereits gesetzliche Maßnahmen, die
die Gerichtsbarkeit deutlich einengen. Das ist besorgniserregend. Es
besteht auch in Österreich noch immer die Möglichkeit, Druck auf Richter
auszuüben. Wir haben einen Forderungskatalog zur Zurückdrängung jener
Abhängigkeiten ausgearbeitet, wo Richter noch unter Druck gesetzt
werden könnten.
Falter:
Wo ist das der Fall?
Barbara Helige:
Bei der Ernennung, bei der Auswahl, beim Geld, bei der
Zuweisung von Planstellen. Es gibt Abhängigkeiten, die sich ganz massiv
auswirken können. Das Ministerium kann in einzelne Richterschicksale
eingreifen.
Falter:
Gab es schon Einfluss?
Barbara Helige:
Nein. Doch reicht schon die Sorge, dass Eingriffe
passieren können. Und reicht die Sorge, ob ich hier in Wien arbeite,
oder in Ybbs an der Donau.
Falter:
Böhmdorfer stellt sich bei Konflikten - etwa der Spitzelaffäre
oder nun bei der Reform des Verfassungsgerichtes - regelmäßig hinter
seinen Freund Haider und nicht hinter die Richter. Nervt sie das nicht
langsam?
Barbara Helige:
Die Gerichtsbarkeit ist vom Justizminister unabhängig.
Doch in der Öffentlichkeit werden Verbindungen hergestellt. Die
parteifreien Justizminister haben deswegen der Justiz einen großen
Dienst erwiesen. Doch diese tagespolitische Zurückhaltung kann man nicht
verlangen. Der Justizminister ist ja ein Regierungsorgan. Als solches
muss er nicht unparteilich sein.
Falter:
Außer es geht um Weisungen in Straffällen.
Barbara Helige:
Richtig. Deshalb fordern wir auch, dass er in
Strafsachen keine Weisungen erteilen darf.
Falter:
Wer soll es sonst tun?
Barbara Helige:
Wir schlagen den Generalprokurator vor. Er muss
unabsetzbar sein und ohne Wiederwahlmöglichkeit auf längere Zeit
bestellt werden. Bei Rechnungshofpräsidenten funktioniert das auch. Kaum
waren sie ernannt, haben sie sich auch von jener Partei, die sie
nominiert hat, emanzipiert. Die Politik argumentiert in dieser Frage
sehr unlogisch. Wenn Weisungen keine Rolle spielen, wieso beharrt man so
darauf, dass der Justizminister das Weisungsrecht hat?
Falter:
Die Spitzelaffäre war nur der Beginn der Attacken der FPÖ gegen
die Justiz. Wie würden sie das Verhältnis der Blauen zur Justiz
beschreiben.
Barbara Helige:
Die FPÖ hat die Justiz sehr wohl in Anspruch genommen
und ist zufrieden, wenn sie gewinnt. Doch auch in frustrierenden
Situationen, wo man sich ungerecht behandelt fühlt, muss man Spielregeln
einhalten. Momentan entsteht der Eindruck, dass Vertreter der
Regierungsparteien mit gesetzlichen Veränderungen bei Gerichten drohen,
um die Umstände zu ändern, unter denen Urteile gesprochen werden. Das
ist sehr gefährlich.
Falter:
In den letzten Wochen waren die Vertreter der Richterschaft
nicht mehr so kühl. Sie selbst gaben sich angesichts der Angriffe gegen
den VfGH "erschüttert".
Barbara Helige:
Wenn Angriffe derart massiv werden, wehren wir uns auch
massiv. 1400 Leute von uns haben vor einem Jahr (am Höhepunkt der
Spitzelaffäre, Anm.) einen offenen Brief geschrieben, dass wir
politischen Druck nicht hinnehmen werden. Jene, die in der Regierung
sind, haben große Probleme, die Unabhängigkeit der Justiz anzuerkennen.
Sie spüren, dass ihre Macht nicht dorthin reicht. Die Aufgabe der
Gerichtsbarkeit ist aber von der Grundidee her nicht,
regierungsfreundlich zu sein. Sie hat sowohl Exekutive, als auch
Judikative zu kontrollieren.
Falter:
Die Vizekanzlerin sagte, die Richter „sollen sich nicht über das
Gesetz stellen“. Haider meint, das Recht geht vom Volk und nicht von den
Richtern aus.
Barbara Helige:
Das Volk ist tatsächlich der wahre Souverän. Es hat die
Gerichtsbarkeit demokratisch legitimiert. Und zwar mit
Zweidrittel-Mehrheit in der Verfassung. Ich halte es für ganz falsch, zu
sagen, "das Volk will solche Entscheidungen nicht". Nicht das Volk
spricht das Urteil.