Eine mit maliziösem Augenzwinkern versehene Schlüssellochperspektive in die Abgründe der eigenen Zunft - der des Schriftstellers nämlich - das ist Helmut Rizys neuer Roman mit dem protokollarischen Titel Andreas Kiesewetters Arbeitsjournal.Der Roman erschließt sich in zwei Ebenen. Da die des Sekretärs Sepp, eines arbeitslosen Handwerkers, der von Bestsellerautor Kiesewetter für sein Arbeitsjournal als eine Art "Provinzeckermann" angeheuert wird. Dort das eigentlich von Kiesewetter für die Ewigkeit Bestimmte. Sepp soll die Entstehungsgeschichte des erst zu schreibenden Romans "Fronleichnamsprozession" schriftlich festhalten (könnten doch derartige Manuskriptseiten - ob der in Aussicht stehenden Berühmtheit Kiesewetters - einmal selbst wieder zu "Kohle" gemacht werden), flicht allerdings in das von Kiesewetter Diktierte seine eigenen - durchaus aufschlussreichen - Ergänzungen ein. Was hat Bestsellerautor Kiesewetter für die Nachwelt ausersehen und was hat sein Sekretär, der sich, als ein perfider Herr Nachlassverwalter, von Anfang an als posthumer Herausgeber vorstellt, hinzugefügt? Warum hat Kiesewetter dieses und jenes aufschlussreiche, aber auch entblößende Detail seines dörflichen Lebenswandels verschwiegen? Es entwickelt sich eine reizvolle Schlüssellochperspektive. Der "Provinzeckermann" und dessen Arbeitgeber, der Dichter Kiesewetter, sind einander weder extrem zugetan noch ist deren Beziehung von unterschwelliger Feindschaft geprägt. Jeder hat am anderen ein eher objektives Interesse. Eine Zeit lang gehen sie allerdings gezwungenermaßen gemeinsam durch dick und dünn - Kiesewetter ist kein leichter Mensch. Vor den Augen des Lesers wird die Arbeitswerkstatt eines Schriftstellers ausgebreitet, der ständig unter Druck steht. Wie soll er den angestrebten Roman gestalten, seinem Erstlingserfolg einen weiteren Hit zugesellen? Und wie daneben mit seinem Alkoholismus fertig werden, der sowohl Treibsatz als auch Hemmschuh für seine Arbeit ist? Wie sich in St. Eberhard, einem oberösterreichischen "Nest", zurechtfinden, dessen Bewohner ihm den Stoff für seinen Roman liefern, ja sogar in chiffrierter Form als Hauptpersonen dienen sollen, um endlich zu einer Generalabrechnung mit der Provinz zu kommen? Fragen, die man sich ernsthaft stellen möchte und dabei vielleicht doch innerlich das Lachen des Helmut Rizy hören kann. Versieht der wirkliche Romanautor doch seine tragischen Provinzakteure stets mit einer potenziell überzeichnenden Note, sodass man nicht weiß, "wie wirklich" dieses Deixfigurenkabinett aus St. Eberhard gemeint ist. Aber - so würde er vielleicht seine literarische Dialektik verteidigen - vielleicht nähert sich die Wirklichkeit tendenziell zusehends mehr der Karikatur an als umgekehrt. Wie dem auch sei, Rizy beweist, dass er sich treu geblieben ist, auch wenn er diesmal keinen Kriminalroman schreibt: Er versteht es den, Alltag eines Autors zwischen Wirtshausintrigen, Saufexzessen und dem Kampf mit sich selbst humorvoll spannend zu erzählen. (DER STANDARD, Album, 9.02.2002 - Von Klaus Ther )