Wien - Ihre früheste Erinnerung, erzählt Yayoi Kusama dem - selber auch Punktbilder produzierenden - Young-British-Artist-Star Damien Hirst 1998, sei der Sternenhimmel gewesen: "So schön, dass ich fühlte, als ob der Himmel auf mich fiel."Die Sterne und die romantische Sehnsucht im Aufgehen mit der Umwelt blieben ihr zeitlebens in Form von Punkten erhalten, mit denen sie sich die ganzen langen Jahre danach - die Künstlerin ist Jahrgang 1929 - ihre (Kunst-)Welten auskleidete. Auch die "Halluzinationen" der Kindheit blieben ihr, die sich jetzt nach eigenen Angaben immer noch fühlt wie ein Kind, ein in der Welt verlorenes Kind, ein fragiler Punkt im Universum. Bunte, lebensbejahende Pillen-Optik Deshalb also die Punkte, mit denen Kusama alles nivellieren will, auslöschen, darin aufgehen. Die bunte, lebensbejahende Pillen-Optik, die wie von in Löschblatt getränkten psychoaktiven Substanzen herzurühren scheint, sieht die Künstlerin allerdings als "die Ästhetik der Tragödie". Themenverfehlung? Nein: Das Punktesystem habe die an "obsessiver Neurose" Leidende, seit 20 Jahren Patientin in einer offenen Anstalt, am tatsächlichen Auslöschen ihrer selbst gehindert. Ein wenig "Unendlichkeit" Nicht wirklich von dieser Welt mutet das vom Pauhof-Team geplante architektonische Setting der Kusama-Schau in der Kunsthalle an, die als solche nicht mehr erkennbar ist - auch kein Fehler. An Bord eines Raumschiffes oder in der Gelatinekapsel einer Retard-Tablette gerät der Parcours durch 50 Jahre Arbeiten am Punkt zum optischen Trip. Die (westliche) Zentralperspektive kann vergessen werden, der/die BetrachterIn verliert buchstäblich den Boden unter den Füßen, kostet ein wenig "Unendlichkeit". Mit Spiegel- und Lichteffekten (z.B. Ladder to Heaven ), Punkte-Ballons oder Silberkugeln schafft sie einen Kunst-Vergnügungspark für Junge und "Junggebliebene", die sich ob der Tupfer mehr oder weniger punktiert fühlen. Als Vorreiterin von spielerischer Pop-Art und Cyberspace-Fantasien wird Kusama gesehen - die Pillen wirken heute aufgrund der gekonnten Architektur. "Mrs. Polka Dot" bemerkt im Hirst-Interview, dass Andy Warhol mit seinem Cow-Wallpaper zwei Jahre nach vergleichbaren Arbeiten von ihr in New York auftauchte. Andy hatte scheinbar das bessere Marketing. In hippiesken "Diskursen" verhaftet Andererseits bleibt Kusama auch verhaftet in den hippiesken "Diskursen" der 60er-Jahre, in Zeiten, als die gebürtige Japanerin New Yorks Straßen als gepunktete Flitzerin unsicher machte. Die Videoaufnahmen und Fotos blieben als zum Schmunzeln verleitendes, eindeutig historisches Dokument: Love forever , Liegen in Blumenwiesen, Anti-Vietnam und japanisch angehauchte Mode mit negativen Punkten - sprich vielen Löchern - an strategisch wichtigen Punkten. Auch die Kritik an der ökonomischen Seite der Kunst ist typisch Sixties: So verkaufte die aus reichem Elternhaus Geborene Kugeln ihrer Installation bei der Biennale Venedig '66 für zwei Dollar pro Stück. Die Punkte macht sie weiterhin, rührend wie ein Kind, auch auf das beobachtende Kameraauge: Dots Obsessions - und Punkt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8. 2. 2002)