Notenbanken
Franzosen sehen ihre Stunde gekommen
Experten: EZB-Vize Noyer könnte Nachfolger werden - Absprache mit Franzosen vermutet
Frankfurt - Deutsche Volkswirte haben die Entscheidung
des Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), Wim Duisenberg,
sein Amt im kommenden Jahr vorzeitig niederzulegen, grundsätzlich
positiv gewertet. Gleichzeitig halten es die Experten nun für
wahrscheinlich, dass Frankreich einen Nachfolger für den
Notenbankchef stellen wird. Duisenberg habe durch die Festlegung des
Rücktritt-Zeitpunkts politisches Geschick gezeigt. Nun bestehe auch
die Möglichkeit, dass der EZB-Vizepräsident Christian Noyer nach
Ablauf seiner Amtszeit die Nachfolge von Duisenberg antritt, meinen
Experten. Dies liege sicherlich im Interesse von Duisenberg, meint der
Chefvolkswirt der Dresdner Bank, Klaus Friedrich. Gleichzeitig
bedeute dies eine Kontinuität in der Politik der EZB. Mit der
Bekanntgabe seines Rücktrittsdatums trage Duisenberg dem politischen
Umfeld Rechnung und lanciere gleichzeitig seinen Wunschnachfolger.
Kontinuität wichtig
Bei einer jungen Institution wie der EZB sei Kontinuität wichtig.
Gleichzeitig schalte sich die EZB mit der Entscheidung selbst in die
Nachfolgerfrage ein. Duisenberg mache sich mit der Bekanntgabe auch
nicht zur "lahmen Ente", fügte der Chefvolkswirt hinzu. Vielmehr
müsse die Entscheidung des EZB-Ratspräsidenten vor dem Hintergrund
einer angestrebten Kontinuität, einer politischen Unabhängigkeit
sowie einer bleibenden Verhaftung zum Stabilitätspakt gesehen werden.
Stefan Bielmeier (Deutsche Bank Global Markets Research) schloss
aus der Terminverkündung, dass es eine Absprache mit den Franzosen
über eine vorzeitige Amtsniederlegung gegeben habe. Er hält es nun
ebenfalls für wahrscheinlich, dass die Franzosen einen Nachfolger für
Duisenberg stellen werden. Der Vertrag von Noyer laufe aus, sagte
Bielmeier. Die Entscheidung Duisenbergs ermögliche den Franzosen nun,
einen Nachfolger für den EZB-Präsidenten zu stellen. Als mögliche
Kandidaten nannte er Jean-Claude Trichet. Dieser müsse sich
allerdings erst von seinen Vorwürfen über die Verwicklung in einen
Finanzskandal befreien.
Viel diskutiert worden
Stephan Rieke (BHF Bank) begrüßte die Terminfestlegung. In den
vergangenen Tagen sei viel über den richtigen Termin für einen
Präsidentschaftswechsel diskutiert worden. Diese Frage stehe nun
nicht mehr im Raum. Gleichzeitig wertete Rieke die Entscheidung
Duisenbergs als "günstige, positive Aussage". Der Ecofin-Rat habe nun
bis Juli 2003 und damit genügend Zeit, ohne Druck einen Nachfolger zu
benennen.
Für die Franzosen sei mit der Ankündigung eine "goldene Brücke"
gebaut worden. Diese hätten nun die Perspektive, einen eigenen
Nachfolger für Duisenberg zu benennen und auf die Nachfolge für Noyer
zu verzichten. Bei dem zur Debatte stehenden Trichet verwies der
Volkswirt ebenfalls auf die ungeklärten Vorwürfe. Insgesamt sei
wahrscheinlich ein Kandidat mit politischem Hintergrund akzeptabler
als jemand aus der Wirtschaft. Zudem könnten auch andere Länder
durchaus einen Kandidaten stellen.
Jörg Krämer von Invesco Asset Management wertete die Entscheidung
weniger positiv. Die Bekanntgabe sei zu früh und ungünstig, sagte
Krämer. Duisenberg mache sich dadurch zur "lahmen Ente", da nun eher
seinem möglichen Nachfolger Beachtung geschenkt werde. Die Franzosen
erhielten mit der Entscheidung eindeutig die Möglichkeit, mit
Verzicht auf die Nachfolge von Noyer, einen EZB-Präsidenten zu
benennen. Gleichzeitig sei Trichet als möglicher Nachfolger aber
wegen des anhängigen Gerichtsverfahrens angeschlagen, wodurch eher
ein Vakuum in der Nachfolgefrage entstehe.(APA/vwd)