Wien - Eine Explosion färbt die Leinwand leuchtend orange. Ausrüstungsteile wirbeln durch die Luft, und wenn die Polizei eine Attacke angreifender Demonstranten mit Tränengas beantwortet, dann wird das Bild plötzlich nebelig trüb und nur schemenhaft zeichnen sich inmitten der Rauchschwaden einzelne Akteure ab.

Das Besondere an dieser aktionistischen Sequenz ist, dass sie nicht aus einem Realfilm stammt, sondern aus dem japanischen Anime Jin-Roh ("menschlicher Wolf"), dessen Reiz untere anderem gerade darin besteht, wie virtuos er filmische Inszenierungsstrategien und Effekte umsetzt.

Die Geschichte des Films, die sich aus früheren Realfilmen und Comics des Drehbuchautors Mamoru Oshii entwickelt hat, spielt zehn Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Zwischen Regierungsgegnern und einer Polizei-Spezialeinheit tobt ein erbitterter Kampf. Im Zuge einer Verfolgungsjagd durch das Kanalsystem sprengt sich ein junges Mädchen vor den Augen des Polizisten Fuse in die Luft. Dieses traumatische Erlebnis initiiert eine weitere folgenschwere Begegnung.

Fuse trifft am Grab des Mädchens auf eine junge Frau, die sich als ältere Schwester der Toten vorstellt. Zwischen den beiden entwickelt sich, vor dem Hintergrund polizeiinterner Machtkämpfe und geheimnisvoller Albträume, die Fuse plagen, eine vorsichtige Liebesgeschichte.

Die Handlung steht hier jedoch zum Teil buchstäblich im Schatten ihrer Umsetzung: Immer noch assoziiert man japanischen Zeichentrick in erster Linie mit TV-Kinderserien, mit verhältnismäßig statischen Figuren vor reduzierten Hintergründen.

Jin-Roh setzt dagegen atemberaubenden Detailreichtum, arbeitet etwa mit komplizierten Mehrfachspiegelungen - die innere Zerrissenheit des Helden, der in seiner martialischen schwarzen Uniform aussieht wie ein Alien, übersetzt der Film in solche hybriden Szenerien.

Foto: Polyfilm

Nur punktuell griffen die Animateure übrigens auf digitale Unterstützung zurück. Jin-Roh, ein Joint-Venture der Anime-Meister Mamoru Oshii (Ghost In The Shell) und Hiroyuki Okiura (Akira, Roujin Z), ist tatsächlich noch ein gezeichneter Animationsfilm.

Am Ende nimmt Jin-Roh jedoch eine befremdliche Wendung - die fragmentarisch gehaltene Erzählung und das komplizierte Intrigennetz, das diese nach und nach freilegt, erfinden sich schließlich, in düsterer Verkehrung von Grimms Rotkäppchen , ein allzu konventionelles Opfer. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7. 2. 2002)