(Leserbrief, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 4. 2. 2002)Betrifft: Rezension der "Hommage an Rudolf Schwarzkogler" zum 30-jährigen Firmenjubiläum der Galerie Krinzinger, von Markus Mittringer, STANDARD, 30. 1. 2002. Die Schmähschrift des Herrn Mittringer kann und darf nicht ohne vehementen Einspruch verdaut werden. Die Sparte "Kultur" sinkt im STANDARD nach und nach auf das Niveau des "Express" der 60er-Jahre zurück und gleicht sich den staatspolitischen Reaktionären verdächtig hautnah an. Erst kürzlich erschien ein breit aufgemachter Bericht, eine (vermutlich getürkte) Lobeshymne auf Mühls "Sensationserfolg" im Louvre zu Paris. Die Schreiberin, in Paris gänzlich unbekannt, verschwieg, was geschrieben werden sollte. Sie verschwieg, dass in der Ausstellung Peinture comme crime Schwarzkogler, Mühl und Brus großzügigst vorgestellt wurden, neben Goya, Blake, Füssli, Pollock, Ives Klein etc. etc. (In der Süddeutschen Zeitung zum Beispiel wusste man diese hervorragende Schau entschieden anders darzustellen). Herr Mittringer, ein Amateur auf dem Gebiet des Recherchierens, versucht mit Vatermordflausen sein literarisches Untalent durch pubertäre Attacken zu kaschieren. Aber sein zynischer Postdadaismus gleicht leider allzu sehr den dumpen Stammtischrezensionen rechtslastiger Stimmungsmacher aufs Haar. "Nie wieder Wiener Blut, keine Scheinkastration mehr, keine Forellen im Gesicht, kein letztlich eh' harmloses Aufschlitzen und kein widerliches Nägelausreißen mehr", so Mittringer. Fragen: Fehlen Herrn Mittringers Wunschvorstellung wirkliche Kastrationen? Wo war eine Forelle im Gesicht? (Siehe Foto Schwarzkogler). Waren die Verletzungen in meiner "Zerreißprobe" eh' nur harmlos? Und wer hat Nägel ausgerissen? Wie gehabt, schmeißt Herr Mittringer alle Protagonisten des Wiener Aktionismus in einen Abfalleimer und entleert sie unsortiert als antiquierten Unflat auf die Leser seiner Schandschrift. Die Heimat- und Kameradschaftsbündler werden ihm gewiss dankbare Leserbriefe zujubeln. "Mit ihren Heldentaten, mit ihren Anekdoten, mit ihren Fotoalben", so Mittringer. In Der Tat, es handelte sich damals um Heldentaten, da wir außerhalb von Polizeikommissariaten und Gefängnissen, Verschmähungen, Verschweigungen und Vertreibungen nichts zu melden hatten. Meine Fotoalben sind als kunsthistorische Aufarbeitung zu begreifen. Dass sie nachträglich auch Handelsware sein müssen, erklärt sich aus der Tatsache, dass sie seinerzeit einfach keine sein konnten. Die Legende vom absolut handelsfreien Aktionismus, vom marktfreien Direktkünstler ist nichts anderes als eine Geschichtsverdrehung. Herr Mittringer, jeder von uns wäre einst sehr glücklich gewesen, wenn eine(r) Ihrer Onkel oder Tanten uns ein signiertes Foto für eine Flasche "Schwechater" oder für eine Schachtel Austria 3 abgekauft hätte. Dies gelang nicht einmal Kurt Kalb, dem Sie eine Danksagung in Ihrer Schmähschrift kurz einfügten. (Kalbs späteres Engagement für meine Arbeit jedoch halte ich hoch in Ehren.) Was Ursula Krinzinger anlangt, darf ich bitte vermelden, dass Schwarzkoglers "Weltruhm" Nitsch und Brus zu verdanken ist. Wir stellten seinem Werk zwei Seitenwände unserer Kojen im Rahmen der "Documenta" 1972 freiwillig zur Verfügung und überzeugten quasi im letzten Moment den Kurator Harald Szeemann, welcher von Schwarzkogler noch nie etwas gehört hatte, erstmals seine Leibinstallation vorzustellen. Ich vermute, dass die Gruppe G.R.A.M. von Herrn Mittringers Auslassungen nicht unbedingt begeistert ist, es sei denn, sie findet einen Gefallen an jener Spaßkultur, die ihr selber zum Halse heraushängen muss. Wenn dem nicht so ist, werde ich Spaß daran haben, wenn die Gruppe in einigen Jahren sich im Nichts der Kunstgeschichte auflöst. Günter Brus Schriftsteller und Aktionist Graz/Wien