Wien - Diana Krall: der größte Hype im zeitgenössischen Jazzgesang, das kanadische Fräuleinwunder. Man tut ihr keinen Gefallen, sie zur "Beauty-Queen des Jazz" zu adeln, wie es ein Fernsehporträt versuchte. Da möchte man sie fast als missglückte Blondine in Schutz nehmen, die eine dramatische Kindheit durchgemacht hat. Denn Krall besitzt eine Stimme, für die man mit Mitte zwanzig eigentlich täglich eine Packung Luckies ohne Filter leeren muss und eine Flasche Johnnie Walker, um den rauchzarten Hintergrund herzustellen, der ihren Balladen, Blues und Standards den nötigen Sound von Erfahrung und Vergeblichkeit gibt. Sie hat eine sagenhafte Phrasierungsfreiheit, aber der Mut zur Improvisation fehlt. Den nimmt sie sich nur als Pianistin. Kralls Musik spielt nicht mit Retroästhetik. Sie ist aus tiefstem Herzen konservativ - in der Hoffnung, es möge im Jazz eine Klassizität geben, die sich in ihren Abläufen durch nichts herausfordern lassen muss. Diese Musik ist mehr als bloß Illustration eines Lebensgefühls zwischen Prosecco und Cocktailkleid. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 6. 2. 2002)