Wien wie Prag missbraucht seine toten Juden als Zugpferd für den Tourismus. Da glorifiziert man Sigmund Freud, Karl Kraus oder Fritz Grünbaum, dort Kafka, Kisch und Werfel. Wollen deren Nachkommen heute eine Entschädigung für erlittenes Unrecht, Enteignung und Vertreibung, warten die Stadtväter da wie dort mit Medaillen und Ehrenbürgerschaften auf. Bei Restitutionsfragen stellt man sich taub. Die Familie Kraus musste 1960 gar ein ihnen geraubtes Waldmüllerbild von der Republik Österreich zum Marktpreis "zurückkaufen". 60.000 Schilling zahlten sie auf das Konto "Vermögensverfall Adolf Hitler" ein. Die Kischs hingegen erwiesen sich als schlechte Patrioten: Sie flüchteten 1939 aus dem "Protektorat Böhmen und Mähren". So kommt es, dass die Nachkommen keine tschechoslowakische bzw. tschechische Staatsbürgerschaft haben - Grundvorraussetzung für die Restitution. Tausende Anspruchsteller im Abseits Tausender Anspruchsteller hat man sich einfach so entledigt. Das gilt ebenso für die Familie Bloch-Bauer, die ja auch in Wien seit einem halben Jahrhundert um die Rückgabe der geraubten Klimt-Gemälde kämpft. Der stalinistische Gerichtsspruch aus dem Jahre 1953 hat bis heute Gültigkeit: Die Erben nach Ferdinand Bloch-Bauer haben keine Ansprüche, denn sie sind keine Tschechen. Sie sind Deutsche. Die beigefügte Erklärung beweist es eindeutig: Alle drei Erben sind in Wien geboren, Maria Altmann hat die US-Staatsbürgerschaft, Robert Bentley die kanadische und Louise Gattin die jugoslawische. Maria Altmann muss nach dem zweiten Restitutionsanlauf Ende der 90er-Jahre zusehen, wie der Besitz ihres Onkels, das Schloss Jungfern, von 1940-45 Wohnsitz der Familie Heydrich, im Rahmen der Privatisierung von einem "gutgläubigen" Käufer erworben wird. Das ihr fehlende Dokument heißt: "Tschechennachweis". Zur Erläuterung: Jene Juden, die Auschwitz überlebend mit der eintätowierten Nummer in die heimatliche Tschechoslowakei zurückgekehrt sind, mussten 1945 - da sie sich bei der Volkszählung 1930 zur deutschen Sprache (Nationalität) bekannt hatten - den gelben Stern gegen die weiße Binde mit dem "N" tauschen. Das "N" bedeutet Nemec, Deutscher, vogelfrei. Benes wollte es so haben. Vorbild Österreich Als 1990 die Restitutionsgesetze debattiert wurden, war man sich recht schnell einig: Nur das, was nach der kommunistischen Machtübernahme (25. Februar 1948) konfisziert worden war, sollte zurückgestellt werden. Jene Liegenschaften, die 1939 durch die Nazis enteignet und nach dem Krieg nicht zurückgegeben wurden, konnten somit sofort im Rahmen der Privatisierung verkauft werden. Innerhalb zweier Jahre schuf sich die nun demokratische Tschechoslowakei ein Vermögen aus dem Verkauf der "arisierten" Liegenschaften. Unbeschwert konnte man daher 1994 das Restitutionsgesetz novellieren: Im Falle jüdischer Enteignungen gilt nun der 29. September 1938 als Stichtag. Die meist im Stadtzentrum gelegenen Synagogen übertrug der eifrige Finanzminister Václav Klaus bereits 1991 aus staatlichen Besitz in das Eigentum der Kommunen, sodass die Kultusgemeinden keinen Anspruch auf diese stellen konnten. Das im Jahre 2000 verabschiedete Kunstrückgabegesetz, betreffend die Enteignungen 1938-45, setzt die Staatsbürgerschaft nicht voraus. "Nazi-Vermögensanmeldungen" Hier sichert sich der Staat mit anderen Mitteln den Eigentumstitel: Man verlässt genau wie bei den österreichischen Restitutionsgesetzen der späten 40er-Jahre die Grundsätze des bürgerlichen Gesetzbuches, den Gleichheitsgrundsatz: Der Kreis der Antragsteller wird drastisch eingeschränkt - lediglich direkte Nachfahren können Ansprüche stellen. Und das nur theoretisch: Denn das Beweismaterial, die "Nazi-Vermögensanmeldungen", steht in Tschechien unter Verschluss. Jirí Waldes, Spross der berühmten Knopffabrikantenfamilie ("Koh -I- Noor") hatte Belege über die große Sammlung seines Vaters. Seit 1991 verhandelte er um die Rückgabe. Das Ergebnis gleicht einer österreichischen Lösung. Er "schenkte" mehrere der wertvollsten Arbeiten den Museen, auf dass er einige wenige in die USA, wo er seit 1939 lebt, ausführen durfte. Tschechien tut also nur das, was das einfache EU-Mitglied Österreich auch tat. Und niemand stieß sich Anfang der 90er-Jahre in Brüssel an der verhinderten Restitution und ihren behindernden Gesetzen. "Echter" Jude? Hier wie dort pflegen führende Politiker nicht nur das antisemitische Understatement: So glaubte der gegenwärtige Kulturminister Pavel Dostal anlässlich der widerrechtlichen Überführung der Gebeine des mittelalterlichen jüdischen Friedhofes doch gar bestimmen zu können, wer nun ein "echter" Jude sei. Was die Restitution betrifft, so erklärten in Österreich gleich nach dem Kriege Leopold Figl und Oskar Helmer, warum Juden auch weiterhin diskriminiert werden müssen. Edvard Benes, Vater der nun viel diskutierten Dekrete, war da den Nachbarn zuvorgekommen. Bereits 1944 hatte er in London dem Repräsentanten einer tschechoslowakisch-jüdischen Organisation erklärt: "Nach all dem können wir doch nicht die gesamte Hauptstraße Mährisch-Ostraus restituieren". (DER STANDARD Print-Ausgabe, 2.2.2002)