Inland
"Pravo": "Schüssel setzt Gleichheitszeichen zwischen Opfer und Täter"
"Gegen das Prinzip der Ursache und der Folgen kann kein Historiker verstossen"
Prag - Zur angespannten politischen Lage zwischen Tschechien
und Österreich schreibt die tschechische linksliberale Tageszeitung
"Pravo" (Freitag-Ausgabe) in einem Kommentar (hier in Auszügen): "Man kann den Versuch des österreichischen ÖVP-Bundeskanzlers
Wolfgang Schüssel nur begrüßen, die angespannte Atmosphäre mit Prag
mit der Erklärung zu entlasten, dass weder die tschechoslowakischen
Präsidenten-Dekrete noch Temelin ein Hindernis für den EU-Beitritt
der Tschechischen Republik sind. Allerdings hat diese Geste nur in
jenem Fall Gewicht, falls sie als deutliche Botschaft an die Reihen
der Regierungskoalition gerichtet ist, also auch an
(FPÖ-Landeshauptmann Jörg, Anm.) Haider nach Klagenfurt."
"Es ist sehr schwer, auf Schüssels hartnäckige Bemühungen
einzugehen, ein Gleichheitszeichen zwischen Opfern und Tätern zu
setzen, wie er es in seiner zweckdienlichen Abstraktion versucht:
"Opfer sind Opfer, ungeachtet dessen, welche Sprache sie sprechen,
welcher Nationalität sie sind oder auf welcher Seite der Historie sie
sich gerade befanden". Bedeutet das vielleicht, dass es egal ist, wer
sich dem Aggressor aktiv angeschlossen hat, wer ihm half, die
Millionen von Personen in die KZ-Lager zu treiben - und wer sich dem
Nationalsozialismus und der Gefahr der totalen Liquidierung seines
eigenen Volkes auch um den Preis des eigenen Lebens wehrte?"
...vom Wissenschaftler zum peinlichen Propagandisten
"Gegen das Prinzip der Ursache und der Folgen kann kein Historiker
verstoßen, falls er nicht vom Wissenschaftler zum peinlichen
Propagandist werden will. Schauen sie auf den Aggressor und auf das
Opfer mit derselben 'akademisierenden' Ansicht, weil sie doch beide
tot sind? Und wo ist der elementare Sinn für die Gerechtigkeit
geblieben?"
"Es wird der Eindruck erweckt, dass der Chef der österreichischen
Regierung sich darauf verlässt, dass der Krieg und dessen Ende schon
eine ausreichend vergessene Historie sind, während die Forderungen
der abgeschobenen Deutschen sehr zeitgemäß sind. Und er braucht ihre
Stimmen bei den Wahlen - sowie ihren Patron, die Freiheitlichen - als
einen Partner in der Regierung. Es ist unsinnig, die Zeit der
Nachkriegsentscheidungen, einschließlich der Abschiebung (der
Sudetendeutschen, Anm.) und damit auch den Sinn der Dekrete, mit dem
Meter der heutigen Kriterien der Menschenrechte messen zu wollen. Es
ist etwas wie ein Versuch um die Retroaktivität der juristischen
Ansicht. Oder im Gegenteil, es hat einen Sinn: Die Historie zu
überschreiben, die Eindeutigkeit der Schuld für die von der
NS-Aggression begangenen Verbrechen und für die Unsauberkeiten jener,
wer ihnen geholfen hat, mit den 'Produkt'-Erscheinungen der
dramatischen Nachkriegssituation zu übertrumpfen", kommentiert
"Pravo". (APA)