Mit einer "Hommage an Rudolf Schwarzkogler" begeht die Wiener Galerie Krinzinger ihr 30-jähriges Firmenjubiläum. In der Galerie König rebellieren die Jungs der Gruppe G.R.A.M. gegen die Väter. Ein glückliches Zusammentreffen.
Von Markus Mittringer

Wien - 1971, als Ursula Krinzinger ihre Galerie gründete, hatte Günter Brus seine "Zerreißprobe" schon einige Monate hinter sich - und damit dem Aktionismus Wiener Natur auf ewig abgeschworen. Fortan strich er das theatralische Moment aus der Verkündung des Unbehagens im Sein und notierte Bilder-Bücher. Irrwisch hieß deren erstes. Die Körperbetrachtungen des Staatsbürgers Brus und auch dessen Wirken als Präsident im Berliner Exil überlebten als Dokumente.

Hermann Nitsch, dessen erste Aktion aus 1962 datiert, produziert immer noch Relikte - Souvenirs aller Preislagen, die an den letzten Urlaub im fernen Land Extase erinnern sollen. So bleibt der Seinstaumel der letzten Pfingstferien immer schön warm. Größere Aktionen können gut und gerne sechs Tage dauern, kleinere bilden oft nur das Rahmenprogramm eines schicken Abendessens.

Letzten November erst konnte man am Linzer Pöstlingberg ein Gansl mit Blaukraut und Nitsch buchen. Für Fans gibt es auch kochecht befleckte Flauschfrotteebadetücher oder trittfeste Nadelfilze mit Schüttfleck. Hermann Nitsch versucht immer noch, unter Leiden und Entbehrungen die Avantgarde der Utopie zu werden: "Ich weiß nicht, warum gerade ich eine so leidensreiche Kunst machen muss, warum gerade ich in so tiefe Abgründe greifen muss, der doch das Leben aus voller Überzeugung bejahen möchte." Otto Muehl denkt mittlerweile in Portugal nicht daran nachzudenken.

Rudolf Schwarzkogler stürzte 1969, erst 28-jährig, aus einem Wiener Fenster in den Tod. Er hat nicht eine Ausstellung seiner Arbeiten selbst erlebt. Seine Aktionen fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt - nur für die Kamera. Ursula Krinzinger hat Schwarzkoglers Nachlass auf den Weg zum Weltruhm geleitet.

Jetzt ist alles Geschichte, liegt gut ediert als Dokument vor oder wird - im Fall Nitsch - als Passionsspiel im kollektiven Gedächtnis gehalten. Generationen schon kennen die Wiener Aktionisten als unglaublich ernste Männer, denen die Freiheit zu verdanken ist, die uns den Taumel wiederbrachten und die Götter und Heidegger und den Veltliner. Männer, die es wagten, "Damenbinde" zu einer Damenbinde und "Tampon" zu einem Tampon zu sagen. Und das ganz, ohne hernach gottesfürchtig zu beichten. Und dennoch, selbst diese Überväter können einem so richtig auf die Nerven gehen. Mit ihren Heldentaten, mit ihren Anekdoten, mit ihren Fotoalben. Und da hilft dann nur mehr Abnabeln. Distanz. Nie wieder Wiener Blut, keine Scheinkastrationen mehr, keine Forellen im Gesicht, kein letztlich eh' harmloses Aufschlitzen und auch kein widerliches Nägelausreißen mehr. Und kein Herumsudeln, bitte kein Herumsudeln und Im-lauwarmen-Gedärm-Wälzen und Kindisch-erregt-Herumspringen mehr. Nie mehr befreiend brüllen müssen. Kein Rudelliebhaben und auch kein sozialkritisches Busengrapschen. Schluss! Der letzten Aktion darf einfach keine mehr folgen!

Nur Als-ob-Aktionen sind noch erlaubt. Solche, wie die Gruppe G.R.A.M. sie macht. Die stellen die klassischen Aktionen von Brus, Nitsch, Schwarzkogler, Weibel und Export einfach nach, nehmen die alten Hadern und machen sich lustig - 'tschuldigung, reflektieren sie kritisch-ironisch.

Ikonensturm und Blutschande, Schadenfreude statt Seinstaumel, Blue Jeans statt weißen Betthemden, G.R.A.M. statt Heldenberg. Schließlich schreiben wir das 21. Jahr- hundert, und was sollen da Aktionen, die das 20. Jahr- hundert mit Ideen aus dem 19. geprägt haben?

Der Zufall wollte, dass Ursula Krinzinger den 30er ihrer Galerie mit einer "Hommage an Rudolf Schwarzkogler" just zu dem Zeitpunkt begeht, wo Christine König in ihrer noch etwas jüngeren Galerie die G.R.A.M.schen Paraphrasen ausstellt. Der Zufall hat es gut gemeint. Und schließlich war der Wiener Aktionismus auch historisch gesehen eine Erscheinung im ersten Bezirk (Danke, Kurt Kalb!), und jetzt spielt sich das Leben gerade außerhalb der ehemaligen Stadtmauer ab. Geschichte wird gemacht. Es geht voran. Und, wie der Psychologe sagt, "Kinder müssen so sein".

(DER STANDARD; Print, 30.01.2002)