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Österreichs Justizminister, der FPÖ-nahe Dieter Böhmdorfer, wurde 1943 geboren. Auf seiner Homepage hat er als Geburtsort "Trautenau, Sudetenland, damals Deutschland" eingetragen. In dieser Angabe steckt ein geballtes Stück Problematik, historisch wie aktuell. 1943 gehörte das Sudetenland zum Großdeutschen Reich Hitlers. Fünf Jahre zuvor, 1938, waren diese Gebiete von Hitler der tschecho-slowakischen Re-publik abgepresst worden. Hitlerdeutschland überfiel im März 1939 auch die "Rest-Tschechei" und errichtete im "Protektorat Böhmen und Mähren" eine Schreckensherrschaft, der über 300.000 tschechische Bürger (darunter 200.000 Juden) zum Opfer fielen. Die "Sudetendeutschen" hatten sich in der 1918 aus den Trümmern der Monarchie gegründeten Tschechoslowakei nie zu Hause gefühlt (mit einigem Recht). Nach Hitlers Machtergreifung suchten sie im Deutschen Reich ihr Heil. Ihre Führer ließen sich von Hitler willigst dazu missbrauchen, dem Reich einen Interventionsvorwand zu liefern. Das ist der historische Hintergrund, wenn der tschechische Premier Milos Zeman heute - nicht ganz falsch, aber letztlich unzulässig pauschalisierend - von "den Sudetendeutschen " als "fünfter Kolonne" Hitlers und als "Verrätern" spricht. Um die Gefühle der Tschechen damals und auch heute zu verstehen, muss man nur zwei Fotos betrachten: das hakenkreuzübersäte, delirisch jubelnde Sudetenland beim Einmarsch der deutschen Wehrmacht und Hitler in Erobererpose am Fenster des Prager Hradschin. Allerdings: um die Gefühle der Sudetendeutschen und ihrer Nachkommen zu verstehen, muss man die Fotos von den gewaltsamen Vertreibungen von über zwei Millionen Sudetendeutschen nach der Niederlage Hitlerdeutschlands sehen (und die Berichte über die unleugbaren Gräueltaten lesen). Die Vertreibung habe 240.000 Menschen das Leben gekostet, sagen die Sudetendeutschen-Vertreter heute. In den letzten Jahren sind gemischte Historikerkommissionen auf weitaus geringere Zahlen gekommen, aber Verbrechen bleibt Verbrechen - und die Vertreibung war ein schweres Unrecht. Allerdings eines mit "Vorge-schichte", so der Historiker Stefan Karner, der auch Kanzler Schüssel berät. Das Problem ist, dass die Vertreter der sudetendeutschen Verbände diese Vorgeschichte auch heute noch ausblenden wollen. Sie sehen nur das Unrecht ab 1945 und verlangen, dass die Benes-Dekrete, die Grundlage von Vertreibung und Enteignung, aufgehoben werden. Darin werden sie massiv von der Haider-FPÖ unterstützt, bis zur Veto-Drohung gegen den EU-Beitritt Tschechiens. Die Tschechen betrachten die Benes-Dekrete als "totes Recht", als "erloschen" und sagen, damit bestünde keine Notwendigkeit, sie auch formell aufzuheben. Dahinter steht die Furcht, bei einer formellen Aufhebung mit einer Lawine von Entschädigungsansprüchen konfrontiert zu sein. Diese Furcht wird nicht gemildert durch Memoranden des "Verbandes der volksdeutschen Landsmannschaften" an die EU, wonach sie sich mit der in der EU gewährten Niederlassungsfreiheit (also dann auch in Tschechien) nicht zufrieden geben und ihr "Recht auf Heimat" einfordern. Solange solche Forderungen im Raum stehen, wird sich in Prag wenig bewegen. Schüssel und Ferrero arbeiten auf eine gemeinsame Erklärung hin, in der die Parlamente beider Staaten das historische Unrecht bedauern. Juristisch wäre das immer noch keine klare Lösung, aber wenigstens ein moralisch-politischer Fortschritt. Unter dem Druck der FPÖ-Vetokeule kann man das aber wohl vergessen. (DER STANDARD Print-Ausgabe, 29.1.2002)