Den Taschenrechner in der einen, das Thermometer in der anderen Hand: So darf man sich den gewieften Börsianer des 21. Jahrhunderts vorstellen. Euronext, die Börse der vor gut einem Jahr fusionierten Finanzplätze Paris, Amsterdam und Brüssel, hat vorige Woche die Einführung eines neuen "Wetter-Index" bekannt gegeben, der eine indirekte Versicherung gegen Wetterrisiken darstellt und Spekulationsobjekt ist.

Nach Angaben von Euronext hängen 80 Prozent der volkswirtschaftlichen Tätigkeit direkt oder indirekt von klimatischen Einflüssen ab. Dazu gehören natürlich die Landwirtschaft und der Fremdenverkehr, aber auch etwa die Textilbranche, der Straßenbau oder die Energieindustrie.

Angenommen, ein Bierbrauer befürchtet einen schlechten Sommer, der auf seine Verkaufszahlen drücken würde. Statistiken zufolge sinkt zum Beispiel der Bierabsatz an der Côte d'Azur im Sommer um 5,2 Prozent, wenn die Temperatur ein Grad Celsius unter dem durchschnittlichen Saisonwert liegt. Der Brauer kann sich dagegen versichern, indem er an der Börse eine so genannte Put-Option kauft, die ihm - zum Beispiel auf das Saisonende hin - den Preis garantiert, der bei Vertragsabschluss im Frühling abgemacht worden war.

Genau diese Art von Terminverträgen (Futures) will Euronext nun anbieten. Ihr zugrunde liegt die Temperatur, die der Wetterdienst in Frankreich an sechs Orten misst und mit den jeweiligen Durchschnittswerten vergleicht. Météo France erstellt zu diesem Zweck einen nationalen und fünf regionale Indices von Paris bis Korsika, Bordeaux bis Strassburg. Auf dieser Basis will Euronext nach einer Probezeit die Kontrakte namens "NextWeather" herausgeben. Belgien und die Niederlande sollen noch heuer, andere europäische Länder ab 2003 folgen.

Futures dieser Art gibt es schon seit längerem in den USA; dort werden jährlich bereits sieben Mrd. Dollar (7,9 Mrd. EURO/108,5 Mrd. S) mit Wetter-Futures umgesetzt.

In Europa wurden bis Ende 2001 erst für 7,5 Mio. Dollar Wetterderivate - außerbörslich - umgesetzt. Die Dreiländerbörse Euronext will aber nicht hintanstehen, da auch der Londoner Terminmarkt Liffe sowie die deutsche Börse solche Kontrakte lancieren wollen. Der Marketingdirektor von Euronext, Vincent Ramay, schätzt, dass das Volumen der "klimatischen Derivate" im Jahr 2005 weltweit 70 Mrd. Dollar ausmachen dürfte. (STANDARD-Korrespondent Stefan Brändle aus Paris , Der Standard, Printausgabe, 28.01.02)