New York - Bei den ersten Hearings über mögliche Unregelmäßigkeiten beim Konkurs des amerikanischen Energiekonzerns Enron standen am Donnerstag zunächst einmal nur die Kongressabgeordneten im Mittelpunkt der Ereignisse: Eine Stunde lang gaben ein Dutzend Mitglieder des amerikanischen Repräsentantenhauses, Republikaner ebenso sehr wie Demokraten, ihrer Besorgnis über die dubiosen Geschehnisse bei Enron und der Steuerprüfungsfirma Andersen Ausdruck. Wie erwartet, verweigerte der erste Kronzeuge danach die Aussage: David Duncan, ein ehemaliger Angestellter von Andersen, machte vom "Fifth Amendment" der Bundesverfassung Gebrauch, das Bürgern das Recht gibt, vor Gericht zu schweigen, um sich nicht selbst zu belasten. Die Besorgnis der Politiker ist durchaus berechtigt: Neue Nachforschungen über Ausmaß und Beschaffenheit von Wahlkampfspenden haben ergeben, dass 212 der insgesamt 248 Senatoren und Abgeordneten des Repräsentantenhauses, die in elf Ausschüssen mit dem Konkurs von Enron befasst sind, finanzielle Zuwendungen entweder von dem Energiekonzern selbst oder von Andersen erhalten haben. Und da die Spenden an beide Parteien ergangen sind, finden sich Demokraten und Republikaner nun praktisch über Nacht im selben - äußerst undichten - Boot. Etwas Gutes tun Jetzt ist offenbar Schadensbegrenzung in großem Stil angesagt. Joseph Lieberman, der ehemalige demokratische Vizepräsidentschaftskandidat und derzeitige Vorsitzende des Regierungsausschusses im Senat, der ebenfalls Spendengelder von Enron einkassiert hat, glaubt eine Lösung für das Dilemma gefunden zu haben: "Es wird sicher einige Leute geben, die die Unabhängigkeit unserer Untersuchungen infrage stellen werden. Es gibt aber zwei Dinge, mit denen wir im Kongress diese Skepsis überwinden können: Indem wir eine unabhängige Untersuchung von Enron-Bankrotts einleiten, und indem wir eine Reform der Wahlspenden verabschieden." Sein republikanischer Kollege Senator Fred Thompson stimmt Lieberman zu: "Wir haben hier die Gelegenheit, etwas Gutes auf überparteilicher Basis zu tun. Und in diesem Prozess könnten wir zum Ausdruck bringen, dass enorme Zuwendungen von ,soft money' an Funktionäre, die in der Öffentlichkeit stehen, keine besonders gute Idee sind." Mit dem Enron-Skandal ist in Washington die Debatte um die so genannte "campaign finance reform", die Reorganisation des Wahlfinanzierungssystems - die von einigen Republikanern bereits als tot erklärt worden war - wieder aufgelebt. In Windeseile setzten einige Kongressabgeordnete ihre Unterschrift unter eine Eingabe, die erzwingen wird, dass im Repräsentantenhaus über einen entsprechenden Gesetzesentwurf abgestimmt werden kann. Bisher war es dem republikanischen Vorsitzenden des Kongresses, Dennis Hastert, immer gelungen, eine solche Abstimmung zu blockieren, indem er sie schlicht und einfach nicht auf die Tagesordnung setzte. Von "Kenny Boy" zu "Mister Lay" Noch immer besteht man im Weißen Haus darauf, dass es sich bei Enron um keinen politischen Skandal handle. Aber die amerikanische Bevölkerung beginnt langsam, ihre Zweifel zu zeigen: Eine neue Umfrage ergibt, dass die Öffentlichkeit mit 34 zu 33 Prozent geteilter Ansicht darüber ist, ob die Bush-Regierung die Firma Enron bevorzugt behandelt habe. Für die Regierung sicher nicht hilfreich ist dabei, dass sich Vizepräsident Dick Cheney immer noch standhaft weigert, eine Liste jener Enron-Mitarbeiter und Firmenberater zur Verfügung zu stellen, mit denen er im vergangenen Jahr mehrfach zusammentraf, um über neue Richtlinien für die US-Energiepolitik zu sprechen. Man wolle, so verlautet es aus dem Umkreis von Cheney, die Privatsphäre der Beteiligten schützen. Präsident George W. Bush hat im Übrigen aufgehört, seinen ehemaligen Freund Kenneth Lay, der Mittwoch als Vorsitzender von Enron zurückgetreten ist, als "Kenny Boy" zu bezeichnen - von nun ab heißt er "Mr. Lay". Und in einem Versuch, sich mit den Opfern von Enron - Kleininvestoren und Angestellten, die ihre Altersversorgung verloren haben - zu identifizieren, verkündete Bush am Dienstag, auch seine Schwiegermutter habe durch den Kauf von Enron-Aktien 8000 Dollar (9243 Euro, 127.186 S) - eingebüßt. (Susi Schneider, DER STANDARD, Printausgabe 26.1.2002)