Geschlechterpolitik
"Sie haben uns inspiziert wie Kleidungsstücke"
Chinesinnen, die als Prostituierte nach Thailand verkauft wurden, erzählen von der "schmerzhaftesten Erinnerung" in ihrem Leben
Daluo - Henei war 17, als ein Fremder ihr und einer Kusine
Arbeit in einem Restaurant der chinesischen Stadt Daluo an der Grenze
zu Burma anbot. Arm und ohne Ausbildung freute sie sich über die
Chance, ihr Bergdorf vier Autostunden von Daluo entfernt verlassen zu
können. Tage später, nach Zwangsmärschen durch Dschungel und langen
Fahrten in einem Kleinbus unter den wachsamen Augen bewaffneter
Wachleute, gelangten die beiden jungen Frauen in ein Hotel Malaysia,
wo sie an örtliche Zuhälter verkauft wurden. "Sie haben uns inspiziert wie Kleidungsstücke auf dem Markt. Sie
haben Fragen nach unserem Alter gestellt und ob wir noch Jungfrauen
seien", berichtet Henei. Noch heute, sechs Jahre danach, kommen ihr
bei der Erinnerung Tränen des Zorns. Henei, die dem Volk der Akha
angehört, gelang die Flucht. Doch tausende weitere Frauen und Mädchen
im armen Süden Chinas werden Opfer des wachsenden Frauenhandels mit
den wohlhabenden Ländern Südostasiens.
Bis zu 10.000 Chinesinnen nach Südostasien geschmuggelt
Manche werden an Kleiderfabriken oder als landwirtschaftliche
Hilfskräfte verkauft. Viele aber landen in Bars und Bordellen und
müssen dort als Prostituierte arbeiten. Die Organisation
Menschenrechte in China mit Sitz in New York schätzt, dass jährlich
bis zu 10.000 Chinesinnen nach Südostasien geschmuggelt werden. Laut
der Internationalen Organisation für Migration in Genf werden in der
Region rund 300.000 Frauen und Mädchen in sklavenähnlichen
Verhältnissen gefangen gehalten.
Die meisten von ihnen kommen aus armen Staaten wie Kambodscha und
Burma. Doch ExpertInnen zufolge sucht die Sexindustrie in Thailand, die
jährlich 20 Milliarden Dollar Umsatz macht, inzwischen verstärkt in
China nach billigen Arbeitskräften. In Thailand fallen immer mehr
Chinesinnen dann in die Hände von Verbrechersyndikaten wie den
chinesischen Triaden oder der japanischen Yazuka. Sie werden von
ihnen in Bordelle nach Malaysia, Japan und sogar in die USA
geschickt. Die meisten der Chinesinnen kommen aus Yunnan und Guangxi,
zwei der ärmsten Regionen im Südwesten des Landes. Und die meisten
gehören ethnischen Minderheiten an, deren Sprache und Körperbau denen
der Menschen in Südostasien ähneln.
Angelockt vom westlichen Lebensstil
Manche werden tatsächlich entführt. Die Mehrzahl aber verlässt
ihre armen Dörfer freiwillig, angelockt vom westlichen Lebensstil,
der im thailändischen Fernsehen, das bis nach Südchina strahlt,
angepriesen wird. Weit von zu Hause weg, häufig ohne Bargeld und
Reisepass, sind die Frauen leichte Beute für die Verbrecherbanden.
Manche werden mehrmals verkauft und gelangen so immer weiter nach
Süden. Ungeachtet der bitteren Erfahrungen Heinans hätten seit ihrer
Rückkehr 50 der 200 Frauen ihr Dorf in Yunnan verlassen und seien
nach Thailand gegangen, berichtet sie. Einige kehren mit genügend
Geld zurück, um ein modernes Haus aus Beton mit Toilette zu bauen.
Andere dagegen kommen nicht mehr zurück.
Betrogen und eingesperrt
Sie werde niemals den Moment vergessen, in dem sie merkte, dass
sie betrogen worden war, sagt Heinan. Der Mann hatte gesagt, das
Restaurant mit ihrem zukünftigen Arbeitsplatz liege auf der
chinesischen Seite der Grenze. Doch als sie aus dem Fenster des
Kleinbusses blickte, sah sie Straßenschilder in burmesischer Sprache.
"Es ist die schmerzhafteste Erinnerung meines Lebens. Dann mussten
wir aussteigen und Tag und Nacht durch mannshohes Gras gehen. Wir
wateten durch Flüsse und krochen über Bambusbrücken, immer in der
Angst, von burmesischen Guerillakämpfern entdeckt zu werden."
Wie viel Geld ein Zuhälter für sie und ihre Kusine zahlte, als sie
in Malaysia ankamen, weiß sie nicht. Er sperrte sie in ein
Hotelzimmer, wo sie gegen die Tür schlugen und so die Polizei auf
sich aufmerksam machten. Drei Monate später wurden die beiden Frauen
zurück nach China gebracht.
"Wir konnten einfach nicht widerstehen"
Viele andere haben nicht so viel "Glück". Eine Angehörige des Volks
der Dai, die anonym bleiben will, musste ein Jahr lang ohne Bezahlung
in einem Bordell im südthailändischen Urlaubsort Koh Samui arbeiten.
Vor fünf Jahren hatte ein Mann aus ihrem Dorf in Yunnan ihr und einer
Freundin Arbeit in einem Nudelrestaurant in Thailand versprochen.
Dort könnten sie monatlich 3.000 Yüan (rund 400 Euro) verdienen -
erheblich mehr als die 2.000 Yüan jährlich, die das Pflücken von
Teeblättern und der Anbau von Zuckerrohr ihrem Vater einbringen. "Der
Mann hat immer wieder erzählt, wie viel Spaß das Leben in Thailand
macht, und er wollte unseren Eltern später Bescheid sagen. Wir
konnten einfach nicht widerstehen", sagt die Frau, die damals 19 war.
Als die beiden Burma erreichten, eröffneten zwei bewaffnete Männer
den Frauen, dass sie verkauft worden waren. Das Bordell in Koh Samui
zahlte schließlich umgerechnet 3.000 Dollar (3.400 Euro) für jede der
beiden. Dort verbrachten sie ein Jahr. Sie lebten in winzigen
Zimmern, in denen kaum Platz für das Bett war, in dem sie arbeiteten
und schliefen. Sie wurde schließlich von der thailändischen Polizei
entdeckt und nach Hause geschickt, völlig mittellos. Ihre Freundin
kehrte nie zurück. "Wir mussten unsere Körper verkaufen. Diese Narbe
werde ich für immer im Herzen tragen", sagt sie bitter. (AP)