Österreich
Sie will aus ihrer Haut heraus
Abschiedsbrief: 27 Jahre alt, von sie ben bis 18 vom Stiefvater sexuell missbraucht
Im Mai 2000 wollte Lena
aufhören. „Ich will aus
meiner Haut heraus“,
schrieb sie. Ihr Freund fand
den Abschiedsbrief und
verständigte die Polizei. Dort
gab Lena ihre Zahlen be
kannt: 27 Jahre alt, von sie
ben bis 18 sexuell miss
braucht. Der Stiefvater wur
de verhaftet. Heute, beim
Prozess, sagt er: „Ich konnte
mich ihrer nicht erwehren.“Es war ein Martyrium in
zwei Etappen. Mia, Lenas
kleine Schwester, erzählte
im Unterricht zum Thema
Kindesmissbrauch - von da
heim. Die Schulleitung
wandte sich an die Mutter.
Die wusste Bescheid. Sie
hatte ihren Mann mit der
Großen schon einmal im Bett
erwischt. Damals hatte sie es
nicht glauben wollen.
Unter Druck der Schule
suchte die Familie eine Bera
tungsstelle auf. Im Beisein
aller Beteiligten wurde über
die Übergriffe gesprochen.
Auch Mia war missbraucht
worden, Lena bereits acht
Jahre lang. Der Stiefvater
versprach, sich einer Einzel
therapie zu unterziehen. Auf
eine Anzeige wurde verzich
tet. Wenig später brach der
Mann die Therapie ab. War
die Mutter außer Haus,
wandte er sich wieder den
Mädchen zu.
Der Angeklagte behauptet
zwar, er bekenne sich schul
dig, aber es stimmt nicht. Mit
Mia soll nie etwas gewesen
sein. Und von Lena sei er von
Anfang an überrumpelt
worden. „Sie hat immer pro
biert, mich abzugreifen“,
sagt er. „Sie hat mich mit
meiner Frau im Bett gesehen
und war neugierig.“ Als sie
13 war, „wollte sie es auch
einmal erleben“. Er hätte
versucht, zu widerstehen.
„Aber sie hat alles mit mir
gemacht. Sie war so lästig.“
Nach der Therapie „war es
leichter für mich“, sagt der
Angeklagte. Erstens war die
Große schon 15. Zweitens
„hatten wir es ja schon ge
macht“. - „Da war dann die
Hemmschwelle niedriger“,
hilft der Richter. Der Ange
klagte nickt. „Unge
schützt?“, fragt der Richter. -
Ja, ungeschützt.
„Das Leben mit der Fami
lie war eine Katastrophe“,
sagt der U-Häftling: „Denn
ich habe meine Frau geliebt.“
- Sein Glück, dass der Pro
zess zur Einvernahme der
Opfer vertagt wird (Daniel Glattauer, DER STANDARD Print-Ausgabe 24.1.2002)